Zweifel – zwischen nützlich und gefährlich

1. Der Zweifel steht zunächst einmal in keinem guten Licht…

Alle an der Bibel orientierten Christen kennen die Warnung aus Jakobus 1,6: „Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln; denn der Zweifler gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird.“ Oh ja, der Zweifel als Kontrast zum vertrauensvollen Glauben steht ganz offensichtlich in keinem guten Licht, wie es scheint, insbesondere nicht unter Christen in der Gemeinde Jesu. Der Zweifler empfängt nichts vom Herrn, wie es weiter heißt (V. 7). Das sind keine guten Aussichten, soweit es den Zweifel an und für sich betrifft. Es scheint so, dass der Zweifel als ein Übel aus dem christlichen Leben völlig eliminiert werden müsste. Und genau diese Handhabung im Umgang mit dem Zweifel lässt sich oft in der Gemeindepraxis so vorfinden.

Ungeachtet dieser wichtigen Tatsache ist es jedoch vorschnell, den Zweifel als solchen vollständig und komplett aus dem christlichen Leben verbannen zu wollen. Wo das geschieht und praktiziert wird, hat das erfahrungsgemäß keine guten Folgen für Menschen und Mitchristen, die dann mit dieser unvernünftigen und „frömmelnden“ Haltung konfrontiert werden.

2. Wir müssen auch vom Recht des Zweifels auch unter Christen reden

Wenn wir uns mit dem beschäftigen, was das, was wir Zweifel nennen, wesensmäßig ausmacht, müssen wir unbedingt zu unterscheiden lernen, dass es verschiedenen Arten von Zweifel gibt, z. B. den guten Zweifel und den schlechten Zweifel, den berechtigten oder notwendigen und den zerstörerischen oder verwerflichen Zweifel, je nachdem, worauf genau sich der jeweilige Zweifel bezieht.

Wer den Verstand gebraucht, den Gott jedem Menschen als gute Gabe geschenkt hat, der ist sich bewusst, dass der Zweifel in unterschiedlichen Situationen wichtig, richtig und auch notwendig ist. Keine Wissenschaft beispielsweise, die seriös und verantwortlich mit den Fähigkeiten der Vernunft umgeht, kann und darf auf den Zweifel verzichten.

Menschen beobachten und erforschen schon immer die Zusammenhänge um sich herum, sie machen Erfahrungen und wollen begreifen, warum etwas ist und warum etwas wie funktioniert. Meinungen, Aussagen, Behauptungen und Forschungsergebnisse strömen daraufhin auf uns Menschen ein. Einfach bei allem „Ja und Amen“ zu sagen, was da so behauptet und gesagt wird, das ist nicht klug und vernünftig. Manches muss man zunächst einmal bezweifeln, auf einen Irrtum oder Fehler hin untersuchen, bevor man zustimmen kann.

In den akademischen Wissenschaften wurden die grandiosen Fortschritte insbesondere dadurch erzielt, dass jemand am Ist-Zustand einer Sache zu zweifeln begann, ob eben diese oder jene Auffassung denn tatsächlich mit der Wirklichkeit übereinstimmt oder ob es nicht noch bessere Erklärungen für vorhandene Phänomene oder angeblich „gesicherte Erkenntnisse“ gibt als die, die vorliegen.

Wer seit je her die Vernunft gebrauchte, der verwendete auch die Methode des begründeten Zweifels, u. a. um Fortschritte zu erzielen oder Fehler in der vorhergehenden Forschung aufzudecken. Wer auf solchen Gebieten das Zweifeln grundsätzlich aus dem Leben ausschließen oder für Christen verbieten will, verirrt sich in Borniertheit und Dummheit, die beide einem Christen nicht gut anstehen.

Allerdings wäre es natürlich komplett irrsinnig, wollte man ständig und überall alles in Zweifel ziehen, um sich nie auf etwas einlassen zu müssen. Ständig mit dem Verstand zweifelnd durch die Welt zu ziehen, das macht krank. So kann keiner leben, in einem Zustand des ständigen Zweifelns und der dauerhaften Skepsis an allem und an jedem zu verharren. Menschen könnten überhaupt nicht leben, wenn sie nicht in vielen Situationen einer Sache oder anderen Menschen Vertrauen schenken würden. Menschen benötigen Überzeugungen und Gewissheiten als Lebensgrundlage.

Es ist daher durchaus sehr vernünftig, nicht der Vernunft, und gerade nicht der zweifelnden Vernunft, den höchsten Platz im Leben einzuräumen. Denn jeder moderne Mensch (spätestens seit Einsteins Relativitätstheorie oder den Einsichten der Quantenphysik usw.) weiß, dass der Vernunft deutliche Grenzen der Wirklichkeitserkenntnis gesetzt sind, sie gerade nicht alles wissen und verstehen kann.

Überzeugungen und Gewissheiten gehören für Christen daher zentral zum Leben dazu, die sie aus den Zusagen des Wortes Gottes für sich ableiten und vertrauensvoll gelten lassen (Hebr 11,1). Auch die Unterordnung unter Gottes Weisheit und Autorität verdeutlicht, dass Gewissheiten und Überzeugungen sich den Zweifeln ab Gott entgegenstellen (2Kor 10,4-5).

3. Arten des Zweifels, die sich dem Glauben in den Weg stellen

Um das Phänomen des Zweifels insgesamt noch besser begreifen zu können, ist es sinnvoll, verschiedene Arten des Zweifels zu unterscheiden. Das ist auch für das Gespräch und auch für die Seelsorge von großer Wichtigkeit.

Eine dramatische Entwicklung der letzten Jahre ist die, dass Menschen, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, sich zunehmend von biblisch orientierten Gemeinden und Versammlungen auf Nimmerwiedersehen verabschieden. Es liegt nicht selten daran, dass diese Menschen in ihrem Zweifel in Glaubensfragen nicht ernst genommen wurden oder sich nicht als Geschwister angenommen fühlten. Solche ehemaligen und „verwundeten“ Geschwister aus reformatorisch-freikirchlich-pietistischen und evangelikalen Gemeinschaften verwerfen nach ihrem Weggang oft viele der Kernüberzeugungen des biblischen Glaubens. Sie firmieren mittlerweile als „Ex- oder Postevangelikale“ im Internet oder in progressiven Gemeinden religiös-spiritueller Natur. Es ist tragisch, das mit ansehen zu müssen.

„Das musst du eben glauben. So stehts geschrieben. Hinterfrage nicht so viel. Zweifele nicht. Denn wer zweifelt, der empfängt von Gott nichts“, so und ähnlich lauten zusammenfassend die Antworten, die Zweifler von Mitchristen und in der Gemeinde erhalten. Nicht wenige verlassen daraufhin desillusioniert und enttäuscht die Gemeinden. Das wäre aber oft gar nicht nötig, wenn man unterschiedliche Arten des Zweifels beachten und dementsprechend seelsorgerlich abgewogen adressieren würde. Glaubenszweifel ist nicht gleich Glaubenszweifel!

Da wäre zunächst einmal der Zweifel unter Jugendlichen und Heranwachsenden. Diesen ziemlich normalen Glaubenszweifel ab der Pubertät nicht behutsam und geduldig und großzügig abzufangen, das hieße, die jungen Leute aktiv zu vertreiben. Das darf nicht sein. Die von den Eltern übernommenen Glaubensvorstellungen aus der Kindheit werden zu Recht überprüft. Eine eigene Mündigkeit im Glauben soll sich ja entwickeln. Übernommene Vorstellungen werden infrage gestellt, bezweifelt, nicht selten auch ausgelöst durch das, was Schule, Medien und Bücher an Informationen anbieten, die nicht nur Heranwachsende verarbeiten müssen. Dieser Zweifel unter pubertären Jugendlichen ist normalerweise harmlos, sollte aber immer auch durch Fürbitte und Gebet der Erwachsenen begleitet werden. Diese Art des Zweifels geht vorüber, wenn Eltern und Erzieher behutsam die Glaubenszweifel ernst nehmen und mit klugen, respektvollen Antworten adressieren.

Und oft kommt es dabei gar nicht auf die richtige Antwort an, sondern auf das Gefühl für die Jugendlichen, trotz ihrer Zweifel am überlieferten Glaubensgut von den Eltern und Gemeindegliedern respektiert und nicht verstoßen zu werden. Eine persönliche Glaubensbeziehung zu Jesus Christus sortiert für die jungen Leute oft alles wieder, sobald diese Sturm-und-Drang-Jahre vorüber sind, sofern sie mit ihren Glaubenszweifeln willkommen waren.

Der alle Altersgruppen ergreifende Zweifel ist der, der über Fragen der Vernunft ausgelöst wird. Dieser intellektuelle Zweifel ist häufig und erfahrungsgemäß nicht ganz ungefährlich für die Glaubensbeziehung zu Jesus. Gebildete und Ungebildete, Junge und Alte werden davon ergriffen. Die Erlösung wird fragwürdig (1Kor 1,18-25: töricht/unvernünftig), Evolutions- und Schöpfungsfragen kollidieren miteinander als unintelligent, Erkenntnisse der Physik, Biologie und Chemie sowie der Geologie und Astronomie werfen Fragen auf, die sich als Zweifel der Vernunft im Christen einnisten können, um das Glaubensgut ungültig werden zu lassen.

Diesem gelegentlich zerstörerischen Zweifel kann man nicht begegnen, indem man das Denken und den Vernunftgebrauch strikt verbietet und sich stattdessen in ein frommes, kulturfernes Ghetto zurückzieht. Das wären fatal falsche Schritte. Vielmehr wären kluge, intelligente und vernünftige Unterweisungen mit alternativen Antworten empfehlenswert und wegweisend, außerdem respektvolles Erörtern der vorhandenen Zweifel in den entsprechenden Vernunftfragen, um diese Art des Zweifels zu überwinden.

Daneben gibt es noch ehrliche Zweifler, die einfach biblische Zusammenhänge (noch) nicht verstehen, die zu den christlichen Glaubensüberzeugungen dazugehören. In Gesprächen lassen sich gute Erfolge erzielen, zufriedenstellende Antworten auf diese ehrlich gemeinten Fragen und Zweifel zu finden. Allerdings gibt es auch – insbesondere im evangelistischen Gespräch – den feigen Zweifler, der alles und jedes mit „Ja, aber“ kommentiert und der niemanden an sich heranlassen will und daher alles zweifelnd infrage stellt. Hier sind oft charakterliche Probleme und Ängste zu adressieren, die diesen Menschen derart verschlossen haben.

4. Der Zweifel ist erlaubt als Notzustand, nicht als Normalzustand

Wir Christen müssen also lernen, dass Zweifel nicht gleich Zweifel ist. Es gibt unterschiedliche Arten des Zweifels, die untereinander Überschneidungen haben können. Wichtig bleibt das Mahnwort aus Jakobus 1,6. Zweifel sind nie ein Normalzustand unter Christen, sondern in jedem Fall ein Notzustand. Denn der Zweifel kann das Vertrauen zu Gott zerstören, und der andauernde, nicht überwundene Zweifel an Glaubensüberzeugungen kann Christen in die Irre führen. Niemand soll sich damit beruhigen oder es für normal ansehen, dauerhaft im Zweifeln zu verharren. Mit dem Zweifel spielt man nicht. Dafür ist er letztlich zu gefährlich, wenn er beispielsweise das Vertrauen zu Gott aushöhlt und damit die Ehre Gottes antastet, der ja ausdrücklich und gewiss ein Gott der festen Zusagen und der absoluten Gewissheit ist, die er durch sein Wort dem Glauben vermittelt (Hebr 11,1).

Wie wir jeweils mit zweifelnden Mitchristen umgehen, das ist seelsorgerlich gewissenhaft und feinfühlig abzuwägen. Eine Nullachtfünfzehn-Verhaltensweise gibt es da in keinem Fall. Schön ist es, dass Gott sich immer und immer wieder zu allen Zweiflern herabneigt und damit auch jedem Zweifler ein treuer und zuverlässiger Gott werden will. Auch im Bereich des Zweifels gibt es bei Gott keine hoffnungslosen Fälle!

 

Zur Vertiefung:

Bobby Conway: Wenn du zweifelst…

Darf ein Christ zweifeln? Ja, er darf. Jeder Mensch zweifelt. Und gerade Christen müssen darüber auch in der Gemeinde sprechen dürfen. Nur dann können diese Zweifel zu einem vertieften Glauben führen statt zum Unglauben. Gott ermutigt uns, mit all unseren Fragen und Zweifeln zu ihm zu kommen. Er möchte, dass wir uns gegenseitig helfen, Schwierigkeiten offen anzusprechen.

 

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