Glaubensbasis – Tragfähig in Krisen

Unter dem Oberthema „Ankern“ fand vom 28.-30. Oktober 2022 der Jesus-im-Fokus-Kongress in Rennerod statt, ein Kongress für Mitarbeiter v.a. im Kinder- und Jugendbereich. Angesichts der zunehmenden Haltlosigkeit unserer Gesellschaft (die auch vor Christen nicht Halt macht) ist es geboten, sich mit den Einflüssen auseinanderzusetzen, die sie verursachen. Die vier Hauptvorträge griffen Fragen auf zu den Themen Identität in Christus (-> Standfestigkeit für den Einzelnen), Umgang mit Konflikten im Mitarbeiterteam (-> Standfestigkeit im Team), sexualethischen Umbrüchen in unserer Gesellschaft (-> Standfestigkeit in der Gesellschaft) und warum so viele junge Menschen ihren Glauben verlieren (-> Standfestigkeit in Glaubenskrisen).

Wir haben die vier Hauptvorträge zusammengefasst und empfehlen auch wärmstens, die Originale nachzuhören 🙂

Den vierten Vortrag hielten Siegbert Krauss und Oliver Last (Mitarbeiter und Leiter der Christlichen Jugendpflege e.V.) über das Thema:

Glaubensbasis – Tragfähig in Krisen

Vor allem in den sozialen Medien finden sich zunehmend Geschichten von „Entkehrten“, deren „Glaubenshaus“ erschüttert wurde durch Enttäuschungen, unbeantwortete Fragen, Zweifel, persönliche Nöte, Eingrenzungen von außen etc. Der frühere Glaube erlebt eine Dekonstruktion, eine kritische Hinterfragung alter Gewissheiten – „eine Krise des christlichen Glaubens, die entweder zu einer Neubewertung des Christentums oder manchmal zu einer völligen Abwehr vom Christentum [Dekonversion] führt“ (Brian Zahnd).

Dabei ist Dekonstruktion nicht gleich Dekonversion! Dekonstruktion kann zu Dekonversion oder Rekonstruktion führen. Dekonstruktion – die Frage, wie ich glaube – ist ein Stück weit normal und gut: Kinderglaube muss erwachsen werden. Auch bei den Jüngern ist das geschehen, Jesus hat sie dazu angeleitet.

Neu ist, dass normale Fragen und Prozesse durch die sozialen Medien verstärkt werden. Der einzelne Zweifler merkt, dass er nicht allein ist – und findet Leute, die plausible und attraktive Antworten geben. Neben die orthodoxe Theologie tritt – auch im evangelikalen Umfeld! – die „progressive Theologie“. Als Zusammenfassung progressiver Theologie könnte man formulieren: „Die Erkenntnis über Gott wächst – auch nach dem Abschluss der Bibel entwickelt sich unser Gottesverständnis weiter.“

2011 wird die Plattform „Worthaus“ gegründet, deren Anliegen es ist, „den aktuellen Diskussionsstand der Hochschultheologie einem breiten Publikum verständlich … zugänglich zu machen“. 2014 kommt „Hossa Talk“ dazu, der sich „mit der Frage beschäftigt, wie sich Christsein in einer komplexen, widersprüchlichen und manchmal chaotischen Welt leben lässt – tiefgründig, witzig und hemmungslos ehrlich“. Wer empfindet: „Der alte Glaube passt nicht dazu, wie ich denke und fühle“, der findet auf Plattformen wie diesen intelligente Antworten, die viele der Spannungen auflösen, die Jugendliche empfinden.

Was machen wir in diesem Sturm?

Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns im Keller zu verkriechen. Wir müssen unser Glaubenshaus untersuchen, ob es ein stabiles Fundament hat!

Sieben Anlässe zur Dekonstruktion:

  1. Christen enttäuschen mich. (Versprechen: Christen sind anders. Aber Christen enttäuschen. Das führt zur Abkehr von der „toxischen“ Gemeinschaft.)
  2. Mir begegnet Leid. (Versprechen: Mit Gott gelingt dein Leben; „Glücksevangelium“. Aber mir begegnet Leid. Das führt zu Klage und Haltlosigkeit.)
  3. Regeln engen mich ein. (Versprechen: Leben, wie Gott es will, bedeutet echte Freiheit. Aber Lebensregeln engen mich ein. Glaube wird zum Zwang: „Regelion“ -> Rebellion -> Beliebigkeit, denn „Kranke Dogmen machen krank“.)
  4. Bibeltreue vs. Systemtreue. (Versprechen: Wir nehmen die Bibel noch wörtlich! Aber ich erlebe Systemtreue statt Bibeltreue. Der Ausweg: „Nimm die Bibel als Inspiration, nicht als inspiriert.“)
  5. Wissenschaft vs. Glaube. (Versprechen: Bibel und „wahre Wissenschaft“ gehen immer Hand in Hand. Aber die Wissenschaft, die ich in Schule und Uni kennenlerne, widerspricht meinen Glaubensüberzeugungen. Progressive Theologie hebt diese Spannung auf: Wissenschaftliche Erkenntnis relativiert biblische Aussagen.)
  6. Christliche Moral vs. Gesellschaft. (Versprechen: Christliche Moral einzuhalten, erfüllt. Aber die christlichen Moralvorstellungen passen nicht in unsere Gesellschaft, und man will nicht diskriminieren. Man entwickelt eine progressive Ethik.)
  7. Ich wurde unmündig gelassen. (Versprechen: Glaube einfach. Blende aus, was nicht reinpasst, alles wird gut! – Ich entdecke: Ich wurde unmündig gelassen. Die Schlussfolgerung ist: Wahre Mündigkeit kann nur abseits von Dogmen gefunden werden.)

Wie reagieren wir darauf?

„Den Menschen in der Kirche nicht zu erlauben ihre Zweifel zu äußern, ist ein Rezept für die Schaffung von Betrügern“, sagt Aaron Niequist.

Judas 22 ermahnt: „Seid barmherzig mit denen, die ins Zweifeln gekommen sind!“ (NeÜ). Auch 2. Timotheus 2,24f geht in diese Richtung: „Ein Diener des Herrn soll aber nicht streiten, sondern allen freundlich begegnen. Er sollte lehrfähig sein und sich nicht provozieren lassen, Widerspenstige aber mit Güte und Geduld zurechtweisen.“ Wir können so handeln im Vertrauen, dass Gott Menschen auch dann noch liebt, wenn sie sich verändern und bewusst von ihm fortlaufen. Wir müssen andere nicht halten – wir können es auch nicht (selbst Paulus konnte nicht jeden Mitarbeiter halten). Aber es ist wichtig, die Beziehung offenzuhalten. Es ist wichtig, informiert zu bleiben, authentisch zu sein (auch eigene Fragen zuzugeben), persönliche Begleitung anzubieten und selber zu suchen. Gebt keine oberflächlichen Antworten, sondern antwortet so ehrlich und fundiert ihr könnt. Und zeigt Jesus Christus in euren Worten und Taten! Nehmt die Zweifler mit in den praktischen Dienst an Schwachen und Benachteiligten, z.B. an Alten.

Man kann auf hilfreiche Bücher hinweisen wie „Ankern“ von Alisa Childers und „Kreuzverhör“ von Rebecca McLaughlin oder den Instagram-Kanal @unfertigunterwegs.

Was können wir in der Kinder- und Jugendarbeit tun, damit ein gesundes Glaubensfundament entsteht?

Sieben Fragen an mich und dich:

  1. Lebst du ein authentisches Leben?
    Authentisches Christsein leben! Wir dürfen auch unsere Schwachheiten zeigen und thematisieren. Keine falschen Versprechen und Vorspiegelungen! (Phil 4,9, 1Kor 2,3ff)
  2. Hält dein Glaube aus, mit Leid konfrontiert zu werden? Hält deine Theologie im Leid?
    Auch hier: Gib keine falschen Versprechen! „Wir betreiben im Licht Theologie, damit wir auch im Dunkeln auf ihr stehen können.“ Schlimme Dinge passieren; auf der Erde wird nicht alles gut. Psalm 88 u.a.
  3. Lehrst du das Evangelium oder eine Regelion?
    Wie stellen wir die biblischen Wahrheiten dar? Stellen wir das Evangelium ins Zentrum? (Wie erzähle ich z.B. die Geschichte von David und Goliath?) Wir neigen zur Moralisierung, aber wir brauchen GNADE.
  4. Reflektierst du die (hermeneutische) Brille, mit der du die Bibel liest?
    Beschäftige dich damit, was eine gute Anwendung ausmacht! Wir brauchen einen stimmigen, reflektierten Umgang mit der Bibel.
  5. Thematisierst du die Spannungen von Wissenschaft und Glaubensüberzeugungen in deiner Arbeit und gibst Lösungsansätze?
    Wie können wir Jugendliche vorbereiten, Gott auch mit ihrem Verstand zu lieben? 1Petr 3,15.16 – für einen intellektuell redlichen Glauben brauchen wir gute Antworten auf schwierige Fragen! Die jungen Leute müssen merken, dass wir uns schon damit beschäftigt haben, auch wenn wir nicht alle Fragen beantworten können.
  6. Durchdenkst du herausfordernde ethische Themen? Hast du gute Antworten auf die ethischen Fragen unserer Zeit?
    Christliche und gesellschaftliche Werte driften immer weiter auseinander. Wir brauchen eine begründete Ethik! Das haben wir zu wenig gemacht. Paulus hat es gemacht, z.B. 1Kor 7.
  7. Förderst du die Mündigkeit deiner Kinder und Jugendlichen?
    Wir müssen den Reifeprozess begleiten: Eph 4,11-14 (Wir sollen nicht mehr Unmündige sein!). Unsere Antworten auf ihre Fragen müssen mit zunehmendem Alter immer komplexer und ausführlicher werden.

Jesus hat für Petrus gebetet, dass sein Glaube nicht aufhöre (Lk 22). Wir als Mitarbeiter werden es nicht schaffen; wir werden fallen und Fehler machen. Aber wir sind in der Jesus-Mannschaft, auf der Siegerseite! Und wenn wir umkehren, wird unser Glaubenshaus stärker sein als vorher.

 

Beginn der Predigt bei Minute 29:26

„Den Menschen in der Kirche nicht zu erlauben ihre Zweifel zu äußern, ist ein Rezept für die Schaffung von Betrügern.“
(Aaron Niequist)

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