Nachdenken über die Mahlfeier (Teil 1/3)

Im ersten Teil dieser Serie klärt Andreas Ebert ein häufig anzutreffendes Missverständnis hinsichtlich der Geistesleitung in unseren Gemeindestunden. Anschließend zeigt er, wie nüchternes Nachdenken über Hinderliches und Hilfreiches eine lebendige Gestaltung fördern kann, auch ohne alles komplett durchplanen zu müssen.

Aus seiner langjährigen Erfahrung sowohl im Ältestendienst als auch in der Jugendarbeit beschreibt Lothar Jung im zweiten Teil die Spannungen, die in vielen Gemeinden bei der gemeinsamen Anbetung Gottes aufkommen. Wie können wir hier umgehen mit Freiheit, mit Ängsten, mit unterschiedlichen Formen, Stilen und Gewohnheiten? Wie können wir mit Alt und Jung zusammenfinden?

In Teil 3 schildert eine traditionsreiche Gemeinde den Prozess, den sie im Nachdenken über ihre Mahlfeier durchlaufen haben. Mit einer gut nachvollziehbaren Herangehensweise kommen sie zu Ergebnissen, die ihren Geschwistern helfen – die an anderen Orten natürlich auch anders ausfallen können.

Geistesleitung & Organisation: Freunde oder Gegner?

„Denn so viele durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes.“ (Römer 8,14)

„Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, seid ihr nicht unter Gesetz.“ (Galater 5,18)

Bevor wir über die eigentliche Frage nachdenken und zu schnell der unerwünschte Eindruck einer Kontroverse entsteht, soll der Blick auf das Wundersame und Erstaunliche an diesem Thema gelenkt werden: Es gefällt Gott, Menschen durch seinen Geist zu beeinflussen. Die Geschöpfe, die in seinem Bild geschaffen wurden, können auch ein Echo seines Wesens sein; sie sollen – wenigstens in Ansätzen – denken können, was Gott denkt, lieben, was er liebt, und schön finden, was er schön findet. Man kann es auch andersherum beschreiben: Falls ein Mensch den Wunsch empfindet, in seinem Denken, seinem Begehren, seinen Reaktionen, seinen Wertvorstellungen von Gott selbst beeinflusst zu werden, hat er damit keinen unverschämten Wunsch geäußert. Im Gegenteil, es ist ein Begehren, das ganz genau mit Gottes Absicht harmoniert. Er will es auch! Auf jeden Fall bei denen, die er für seine Gegenwart passend gemacht und mit dem Heiligen Geist ausgestattet hat. Wer am Morgen darum bittet, dass Gott ihn an diesem Tag durch seinen Geist leitet, hat für den Anfang schon mal alles richtig gemacht.

Geistesleitung und ihr „Sitz im Leben“

Die Überschrift dieses Artikels kann den Eindruck einer Kontroverse machen, bei der es gilt, Argumente zu sammeln und sich dann auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Entweder man ist für die Geistesleitung – oder eben nicht. Das ist völlig abwegig und nicht Ziel dieses Artikels. Dass daraus überhaupt eine „Entweder /Oder“ – Frage werden konnte, hängt mit der Vorstellung zusammen, dass sich Geistesleitung vor allem darin zeige, ob eine Gemeindezusammenkunft geplant oder ungeplant ablaufen sollte. Wenn sie geplant ist – also klar ist, wer die Predigt hält, wer die Begrüßung und Verabschiedung macht – dann ist das keine Geistesleitung, weil ja alles „organisiert“ ist. Und wenn alles offen ist außer der Anfangszeit, dann sei das Geistesleitung. So lässt sich die christliche Welt ganz leicht in „Geistgeleitete“ und solche, auf die das nicht zutrifft, teilen.

Die fast reflexhafte und meist einseitige Verknüpfung von Geistesleitung und Gemeindestunden ist unglücklich. Sie verhindert, dass wir Gottes Absicht sehen, was er mit der Leitung durch seinen Geist bewirken will. Wir schauen zunächst die beiden oben angeführten Schriftworte etwas genauer an und halten einige Beobachtungen fest:

  1. Die Texte sprechen nicht von christlichen Veranstaltungen. Das kommt überhaupt nicht vor. Es geht um den einzelnen Christen. Alles, was sein Menschsein ausmacht, soll durch den Geist geleitet werden: Ehe, Beruf, Generationen, Nachbarn, Gemeinde. Einfach alles! Das hat um drei Ecken schließlich auch mit Gemeinde zu tun, aber geistgeleitet sollen einzelne Menschen werden. Wenn immer die Begriffe „Geist“ und „Leitung“ im Neuen Testament zusammen vorkommen, geht es nicht um christliche Zusammenkünfte.
  2. Wir nehmen noch einen Vers aus Römer 8 zu Hilfe: V.13 „Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben, wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben.“ Die Gegensatzpaare heißen also nicht „Geistesleitung gegen Organisation“, oder „Geist vs. Plan“. Der Gegner des Geistes ist das Fleisch, also die unheilige alte Natur des Menschen, die durch alles Mögliche gesteuert wird, aber nicht durch Gottes Sinn und Gottes Geist. Das wahre Konfliktfeld sind nicht die verschiedenen Veranstaltungskonzepte, sondern mein Inneres, das geistlich oder fleischlich ist. Deshalb ist es möglich, dass man zum Beispiel in einer Mahlfeier ohne geplanten Ablauf höchst fleischlich denken kann: „Hoffentlich haben sie alle bemerkt, wie genial du die Texte verbunden hast“. Um es auf den Punkt zu bringen: Ob Gottes Geist Menschen leiten kann, entscheidet sich nicht daran, ob eine Veranstaltung durchgeplant oder offen ist, sondern an der Herzenshaltung der Akteure.
  3. Die Leitung durch den Geist wird nicht als Luxusvariante des Christseins beschrieben, sondern geradezu als Kennzeichen und Ausweis der Gotteskindschaft. Es gilt die einfache Regel: Bekehrte werden durch den Geist geleitet. Das steht so selbstverständlich im Text, dass man es eigentlich gar nicht missverstehen oder übersehen kann. Vielleicht hängt es mit einer verkrampften Ängstlichkeit im Blick auf charismatische Einseitigkeiten zusammen, dass in unserem Gemeindekreis weithin kaum eine positive Erwartungshaltung gegenüber dem Geist, der in uns wohnt, gelehrt wird. Die Folge ist eine schmerzliche Sprachunfähigkeit zu diesem Thema – oder Einseitigkeiten wie die schon erwähnte und kritisierte Verengung auf christliche Veranstaltungen.

Freie Gestaltung oder Planung?

Nun aber möchte der Heilige Geist natürlich auch in unseren Veranstaltungen das Sagen haben. Wenn wir das Neue Testament befragen, wie das laufen soll, dann finden wir für beide Wege Unterstützung. Im ersten Brief an die Korinther lesen wir: „Was ist nun, Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Offenbarung, hat eine Sprachenrede, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung.“ (14,26) Das ist ein Beispiel für einen „bunten Strauß“ von Einzelbeiträgen, die sich eher unorganisiert ergänzt haben. Wenn dagegen Paulus in Ephesus zwei Jahre lang lehrte, dann war er als Lehrer dort und wer bei den Treffen in der Schule des Tyrannus das Wort führte, war von vornherein klar (Apg.19,9+10).

Ein „Rundumblick“ in der christlichen Landschaft zeigt dasselbe Bild: Wir finden streng organisierte Gemeinden, in denen kein Lied oder Gebet unvorbereitet ist – und diese Gemeinden können sehr dynamisch und lebendig unterwegs sein. Es ist offenbar, dass der Heilige Geist dort wirkt. Und dann treffen wir auf Gemeinden, die eine freie Gestaltung und wenig Planung bevorzugen – auch sie können wachsen und gedeihen.

Die momentan zu beobachtende Tendenz – auch im Kreis der Brüdergemeinden – geht dahin, dass die organisierten Anteile zunehmen. Meist geschieht das weniger aus Überzeugung als aus Not. Die Not liegt, um einmal das Beispiel der Mahlfeier zu nehmen, hierin: Nicht durchorganisierte Zusammenkünfte können zwar durchaus tiefsinnig, zielführend und bewegend sein. Allerdings nur dann, wenn es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die immer wieder frische Entdeckungen in der Schrift machen und eine Verantwortung für die Mit-Gestaltung empfinden. Fehlen diese Leute oder schrumpft ihre Zahl auf den mittleren einstelligen Bereich, dann ist Schluss mit „freier Beteiligung“. Auch unorganisiert ist dann klar, wer die Lücken füllen muss.

Nun könnte man sagen: „Dann lasst uns doch alles durchorganisieren“. Damit kann eine Gemeinde leben, aber man verliert doch etwas. Es ist ein Unterschied, ob ich die Mahlfeier oder den Gottesdienst besuche, wie ich sonst eine Gaststätte oder die Fußpflege besuche, nämlich in der Erwartung bedient zu werden. Oder ob ich mit dem wachen Bewusstsein einer Mitverantwortung gehe. Je normaler die Besuchermentalität wird, umso zwingender wird der durchorganisierte Gemeindeablauf.

Freie Beteiligung in einem klaren Rahmen

Es gibt durchaus Gründe, im Gemeindeleben Raum für freie Beteiligung zu haben (s.a. „Chancen für Brüdergemeinden“, A.Ebert in Perspektive 09-2009). Am geeignetsten ist dafür das Mahl des Herrn. Wie schon angedeutet, sind aber bestimmte Bedingungen erforderlich, damit solche Zusammenkünfte langfristig „reich“ sind. Deshalb sollte man meiden, was dieses Prinzip demontiert, und unterstützen, was es belebt. Für beides folgen einige Anregungen:

Was langfristig von Schaden ist:

  • Beiträge, bei denen die Hörer bemerken, dass hier jemand unvorbereitet oder schlecht durchdacht redet. Es ist nicht jedem gegeben, komplexere Gedanken zu vermitteln. Das ist kein Problem. Problematisch ist der formale, „herzarme“ Eindruck von Beiträgen.
  • Beiträge, bei denen niemand weiß, warum dieser Text gelesen wurde. Was hat den Redner überhaupt bewegt?
  • Wenn immer wieder die gleichen Inhalte kommen. Das Heilshandeln Gottes ist so tief und weit – wenn immer wieder vorhersehbare Verse kommen, dann ermüdet das Himmel und Erde gleichzeitig.
  • Wenn der Ablauf trotz vorhandenen Potenzials in gewisser Weise „arm“ bleibt: Wenige Akteure, schmales Altersspektrum.

Was die Sache lebendiger macht:

(Man könnte hier einfach an das Gegenteil aller eben beschriebenen Punkte denken. Das setzen wir einfach mal voraus und ergänzen mit ein paar Anregungen.)

  • Ein gut abgesteckter Rahmen. Es mag fast paradox erscheinen, dass eine nicht durchgeplante Veranstaltung einen festen Rahmen braucht. Aber es ist so. Wenn es Unsicherheiten über den „richtigen“ Ablauf, Zeiten usw. gibt, bremst das die Freiheit der Beteiligung.
  • Identifikation mit Inhalt, Ablauf, Stil und Atmosphäre. Wer sich „fremd“ fühlt, wird nicht von Herzen mitgestalten können.
  • Eine funktionierende Bruderschaft, die Vielredner bremst und Zögerliche ermutigt. Viele gute Leute sind nicht mit überfließendem Sendungsbewusstsein unterwegs. Sie brauchen Impulse, um an das Mikrofon zu kommen.
  • Für eine breite Vorschlagskultur muss man Lied und Text „in der Hand“ haben. Wer nur den kleinen Liedschatz seines Gedächtnisses zur Verfügung hat, der hat meist nicht viel Auswahl.

Fazit

Wie schon beschrieben, ist das nicht der einzige Weg, auf dem Gottes Geist wirken kann. Aber er enthält mehrere Elemente, die dem geistlichen Leben gut tun und eine gewisse Mündigkeit fördern. Wer anderen dienen will, gewinnt immer selbst dabei. Wer Verantwortung wahrnimmt, wird zurückhaltender im Urteil. Das und weitere „Werte“ sind eingebaute Bestandteile dieses Prinzips. Deshalb lohnt sich ihre Pflege!

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