Man führt nur mit dem Herzen gut

In den letzten 20 Jahren habe ich das Thema Leiterschaft mit Leidenschaft bearbeitet. Gute geistliche Leiterschaft ist das wichtigste in allen Strukturen in denen wir leben, ob Familie, Gemeinde, Beruf oder Ehrenamt.

Was macht einen guten Leiter aus? Woran scheitern Leiter? Das sind Fragen, die mich bis heute bewegen. Immer wieder hört man, wie christliche Leiter plötzlich von der Bildfläche verschwinden. Was ist schief gelaufen? Bei allem, was man liest, bestätigt sich eine Erfahrung: Leiter scheitern fast immer an ihren Charakterschwächen.

Achte auf Deinen Charakter

Charakterentwicklung ist die Kernverantwortung einer Führungskraft. Es geht um mein Herz als Sitz meiner Persönlichkeit. Man führt nur mit dem Herzen gut.

Das ist eine These, die über dem Leben eines der größten Führer des Volkes Israel steht: Der junge Salomo soll als König sein Amt antreten. In 1. Könige 3,5-9 lesen wir von den interessanten Umständen seines Amtsantrittes. Gott spricht Salomo direkt in einem Traum an und sagt: „Erbitte, was ich dir geben soll.“

An dieser Stelle ist man immer versucht zu fragen: Was wäre, wenn Gott dich ebenfalls direkt und hörbar ansprechen und nach deinem größten Wunsch als Leiter fragen würde? Doch ist diese Frage realistisch? Gott hat mich in meinem Leben noch nie direkt angesprochen und das muss er auch nicht, weil ich einen viel größeren Überblick und Kenntnis des Willen Gottes habe, als Salomo es damals hatte. Gott spricht indirekt zu mir, indem ich sein Wort reflektiere, und setzt im Gebet durch den Heiligen Geist Impulse frei. Und das ist ein Schatz, der jedem von uns zur Verfügung steht.

Hörbereit?

Zurück zu Salomo, der zunächst skeptisch sagt: „Herr, du hast deinen Diener an Stelle Davids, meines Vaters, zum König gemacht, ich aber bin noch ein kleiner Junge.“ Wir kommen uns manchmal klein und unfähig vor, wenn wir unseren Vorgängern, die manchmal Väter, gar Überväter sind, in der Führungsverantwortung nachfolgen. Oft werden wir im Ernstfall der Führungspraxis einfach ins kalte Wasser geworfen. Hier gilt immer „learning by doing“. Gott fragt den Anfänger: „Was soll ich dir mit auf den Weg geben?“ Salomo antwortet: „Gib deinem Diener ein Herz, das hört.“ Wozu, so fragen wir Salomo, soll ein hörendes Herz denn gut sein? Antwort: „Damit er deinem Volk Recht verschaffen und unterscheiden kann zwischen Gut und Böse.“ Als Menschen in Führungsverantwortung brauchen wir sowohl für das operative Geschäft als auch für die großen Linien unseres Leitens ein hörendes Herz. Was bedeutet das ganz praktisch, ein hörendes Herz zu haben? Ich möchte das an drei Themen aus dem Führungsalltag kurz aufzeigen.

Konfliktmanagement

Von Führungskräften erwartet man eine hohe Konfliktlösungskompetenz. Leider bleiben in der Hetze des Alltages die tatsächlichen Gründe, die zu einem Konflikt geführt haben, im Verborgenen. Ein hörendes Herz hört tief hinein und durchdringt die Sachebene des Streits. Gerade als Mann bin ich eher darauf fixiert, sachlich zu analysieren und will sofort eine Lösung finden. Ein guter Leiter erspürt, was die Konfliktpartner wirklich bewegt und vernimmt die spezifische Not jedes Teammitglieds, die im gemeinsamen Konflikt so unterschiedlich aussieht. Hinter dem vordergründigen Gezänk des Teams hört das Leiterherz den Schmerz der ganzen Gruppe. Ein hörendes Herz versteht die Ängste der Streitenden, er vernimmt das Ächzen des Systems, welches das Zerwürfnis mitprägt, vielleicht sogar verursacht.

Das hörende Herz eines Leiters bleibt aber nicht bei Beweggründen stehen. Es ist bewegt und will bewegen. „Damit er deinem Volk Recht verschaffen kann.“ Jeder im Team soll sein Maß, sein Recht erhalten. Es sollen faire und nachhaltige Lösungen entstehen, heilvollere Strukturen, die die Zusammenarbeit weniger störungsanfällig machen. Dabei sollte uns klar sein, dass die Haltung des „hörenden Herzens“ nicht Handlungskompetenzen der Konfliktlösung ersetzt, die wir uns als Führungskräfte anzueignen haben. Aber mit der Grundhaltung des „hörenden Herzens“ wenden wir alle diese Werkzeuge in die richtige Richtung hin an. Sie macht uns kreativ, dass wir nicht nur Probleme lösen, sondern Lösungen finden, die Herzen tiefgreifend verändern.

Unterscheidungsvermögen

Mein zweiter Punkt hat mit dem Wunsch Salomos zu tun: „Damit er unterscheiden kann zwischen Gut und Böse.“ In unserer Gesellschaft wird diese Unterscheidungskompetenz immer weniger sichtbar. Deshalb sucht man in den Führungsetagen der Unternehmen so dringend nach integren Menschen. Integrität ist der am höchsten gewichtete Wert bei allen Befragungen von Führungskräften.

Ein Herz, das hört, wird ethisch urteilsfähig. Es kennt und akzeptiert die Kategorien von Gut und Böse. Wer hört, lässt sich etwas sagen. Was sagt das Gesetz? Was ist fair? Was dient allen Interessensgruppen wirklich zum Guten? Gott, wie denkst du darüber? Für eine Unternehmenspolitik könnte das bedeuten, dass schwarze Zahlen kein Grund sind, rote Linien zu überschreiten und rote Zahlen keine Berechtigung zu einem „weiter so“ ohne Veränderungsbereitschaft.

Manchmal wünschte ich in der Zeit Salomos zu leben, wo man offenbar noch dual denken und zwischen Gut und Böse so klar unterscheiden konnte. Wir haben es in unserem Führungsalltag nicht immer mit Schwarz oder Weiß zu tun. Und deshalb brauchen wir angesichts der Komplexität und der ethischen Dilemmas, in denen wir uns bewegen, die uns von oben her geschenkte Unterscheidungsgabe noch dringender. Auch in der Formulierung einer Unternehmenspolitik oder in Entscheidungsprozessen gibt es bewährte Managementtechniken. Wir haben uns dieses Können anzueignen und es auszuüben. Wohl uns, wenn wir nicht nur dieses Handwerk beherrschen, sondern uns gleichzeitig – so quasi als „Unterbau von oben“ – ein Herz schenken lassen, das hört.

Selbstreflektion

Mein dritter Punkt beschäftigt sich mit der Frage: Wieviel Zeit soll eine Führungskraft für die persönliche Reflektion verwenden? Um die Haltung eines hörenden Herzens zu entwickeln, muss ich mir selbst immer wieder Fragen stellen. Bin ich noch in meiner Berufung? Was ist meine Vision und wie lebe ich sie? Brennt meine Leidenschaft noch? Was sind meine Stärken und Schwächen? Wie hat sich mein Charakter entwickelt?

In Gesprächen mit Führungskräften stelle ich sehr gerne folgende Gewissensfrage: Wieviel Zeit setzt du für die Führung deiner eigenen Person ein? 5, 10 oder 30 %? Ein bekannter Führungsexperte ist der Auffassung, dass eine gute Führungskraft 50 % seiner Zeit für diese Fragen einsetzen soll. Klingt übertrieben, aber hat es unser Herr nicht genau so vorgelebt? Wenn wir uns die ersten Kapitel des Markusevangeliums ins Gedächtnis rufen, dann sehen wir, wie sich bei Jesus Phasen intensiven Dienstes schnell mit Zeiten abwechselten, in denen Jesus sich zurückzog und nachdachte, betete, fastete und allein war. Der Herr behielt dies während seines gesamten Dienstes bei. Jesus praktizierte die hohe Kunst der Selbstreflektion. Er wusste, dass er sich in regelmäßigen Abständen an einen ruhigen Ort zurückziehen und sich wieder neu ausrichten musste. Er ging ganz bewusst diesen Weg in die Stille, um sich immer wieder darauf zu besinnen, wer er war, wie er seinen Auftrag ausführen sollte und wie sehr der Vater ihn liebte.

Das versteht man unter Selbstmanagement. Niemand kann uns diese Arbeit abnehmen. Jede Führungskraft muss sich dieser Mühe selbst unterziehen, und das ist nicht einfach. Meine Erfahrung ist, dass sich die meisten Führungskräfte davor drücken, weil es so anstrengend ist. Wir versuchen lieber, andere zu inspirieren oder zu kontrollieren, statt uns mit strenger Selbstreflektion und innerem Wachstum auseinanderzusetzen.

Wie kann man das konkret anpacken? Im letzten Sommer habe ich mit meiner Familie aber auch mit befreundeten Ehepaaren im Urlaub eine Reflektion über die Ausprägung der Frucht des Geistes gemacht. Auf einer Skala von 1-10 schätzten wir uns gegenseitig ein, wie gut wir die neun Früchte des Geistes leben. In der Reflektion erkennen wir sehr schnell, welchen Charakter wir ausgeprägt haben. Wir erkennen unsere Stärken und können für unsere Entwicklungspotentiale Verbesserungsstrategien entwickeln. Lade deine Freunde oder deine nächsten Mitarbeiter ein, um zu bewerten, wie du deine Werte in deiner Familie, in der Gemeinde oder in deinem Unternehmen lebst.

Das schönste Geschenk, das du den Menschen machen kannst, die du führst, ist deine gesunde, energiegeladene, Gott hingegebene und zielgerichtete Persönlichkeit.

Niemand außer dir kann das in deinem Leben geschehen lassen. Es liegt also an dir, die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit du einen Charakter ausprägst, der Gottes Wesen wiederspiegelt. Du hast dein Ziel erreicht, wenn jeder von dir sagen kann: Das ist ein Mann oder eine Frau, die wirklich auf Gott und Menschen hört.

Man führt nur mit dem Herzen gut.

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