Ich habe mich entschieden und sage – vielleicht!

Warum Verbindlichkeit so schwer ist und wir sie trotzdem brauchen

Ich bin ein Kind meiner Generation. Generation Y. Generation Maybe. Die „Ich-bin-bis-zum-Verrecken-spontan“-Generation. Für eine Tasse Kaffee treffe ich sieben Entscheidungen: Kleiner Kaffee, schwarz, mit Milch, Soja- und fettarm, mit Kakaopulver, ohne Coffein. Zwänge sind Out. Für mich wurde die Militärpflicht abgeschafft, vielleicht folgt bald die Rechtschreibpflicht, jeder soll sich entfalten, wie er will. Meine Maxime ist YOLO. Und richtig auskosten kann ich nur, wenn ich spontan sein darf. Und wie so viele Generationsgenossen bin ich mit FOMO infiziert, dem Fear-Of-Missing-Out-Syndrom. Deswegen bin ich überall dabei. Deswegen lege ich mich nicht fest. Deswegen habe ich mein i-Phone ständig in der Hand, falls irgendwer irgendwo spontan zu irgendwas einlädt. So bin ich geprägt, so ticke ich.

Aber ich bin auch Mitarbeiter in unserer Gemeinde. Kinderstunde, Mädelstreff, Studentenkreis. Organisiere Events für unsere Jugend. Und da stehe ich plötzlich auf der anderen Seite. Will planen, aber keiner macht mit – falls doch noch ein besseres Angebot kommt. Da steht dann drei Tage vor dem Jugendurlaub immer noch nicht fest, wer mitkommt. Da findet ein Straßeneinsatz nicht statt, weil sich keiner angemeldet hat. Da sitzen plötzlich drei Dutzend Leute in der Jugend, obwohl nur für zehn gekocht wurde. Es ist verwirrend. Ineffektiv. Frustrierend. Bindet mir die Hände, und jedem anderen, der versucht, mit der Jugend zu planen. Und mich beschleicht der Verdacht, dass an der Forderung nach mehr Verbindlichkeit doch etwas dran ist. Aber – wann ist uns das Prinzip verloren gegangen?

HERAUSFORDERUNG 21

Herausforderungen birgt jede Zeit. Unsere Herausforderung als Postmoderne ist die Verbindlichkeit. Das liegt erstens (1) an mir und meinen Leuten, an der schon erwähnten Sehnsucht meiner Generation nach grenzenloser Freiheit und der Angst vor Festlegung. Zweitens (2) an unserer pluralistischen Gesellschaft, an immer neuen Möglichkeiten, immer mehr Studiengängen, immer längeren Wahlzetteln. Und drittens (3) an neuen Wegen der Kommunikation. Weil ich mit meinem schon erwähnten i-Phone wirklich immer spontan noch absagen kann. Weil Mama sich keine Sorgen macht, wenn ich nach der Schule einen Abstecher übers Freibad mache – da schicke ich einfach ein Foto in den Familien-Chat.

Mensch, Mentalität und Medien verändern sich und zusammengestopft im turbulenten Mixer unserer Zeit kommt – leider nur zu oft – Unverbindlichkeit heraus. Und da hilft es auch nichts, zu jammern. Oder den Fortschritt zu verteufeln. Das Smartphone abzugeben und uns von jetzt an wieder Briefe statt Mails zu schreiben. Der schlauste Mann der Welt warnt uns vor Omas Lieblingssatz „Früher war alles besser“.[1] Ist nämlich falsch. Früher war alles anders. Manches besser. Manches nicht. Unsere Aufgabe ist, die Zeit zu verstehen und angemessen auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu reagieren.

DEN WEG ZUM ZIEL MACHEN

Echte Veränderung beginnt immer durch Umdenken. Für mich bedeutet das, mir bewusst zu machen, wozu Verbindlichkeit überhaupt da ist. Und ich glaube, da denken wir oft falsch, denken, dass Verbindlichkeit für Spießer ist. Für Großmutter und Landschulheim, aber nicht für dich und deine Jugend. Dass wir verbindlich sein sollen, weil man das halt so macht. Aber das stimmt nicht. Ich glaube nicht, dass Verbindlichkeit per se einen Wert hat. Es ist keine Kardinaltugend. Wir müssen nicht verbindlich sein um der Verbindlichkeit willen. Denn:

// Verbindlichkeit hat keine Bedeutung, wenn sie kein Ziel hat. //

Aber es gibt Ziele im Leben: Gott zu dienen, deine Familie zu ernähren, ein besserer Klavierspieler zu werden. Und es gibt Ziele für dein Leben, nämlich Gottes Auftrag an dich: Gott zu lieben. Den Nächsten zu lieben. Gottes Botschafter zu sein. Aber wie willst du deinen Nachbarn lieben, wenn du erst Zeit findest zum Schnee schippen, wenn schon wieder die ersten Knospen blühen? Wie willst du Menschen von Jesus erzählen, wenn der Missionseinsatz nicht zustande kommt, weil keiner weiß, ob er im Februar nicht doch noch was anderes machen wird? Wie willst du Gott lieben, wenn du deine Gebetszeiten davon abhängig machst, ob du einen stressigen Vormittag hast? Und wie willst du ein besserer Klavierspieler werden, wenn du jeden Tag eine neue gute Ausrede hast, warum du heute nicht üben kannst?

Verbindlichkeit hat immer ein Ziel. Bei Gott sehen wir das auch. Er ist ein verbindlicher Gott. Treu. Unveränderlich. Wenn Gott nicht verbindlich wäre, würden wir in einem Zustand dauerhafter Verunsicherung leben. Bin ich heute gut genug? Komme ich nach dem Tod wirklich in den Himmel? Gottes Verbindlichkeit hat das Ziel, dass wir ihm vertrauen lernen. Dass wir Beziehung zu ihm aufbauen. Dass wir unser Leben ohne Angst führen, weil wir wissen, dass alle Dinge (nicht nur manche) zu unserem Besten sind. Dass keine Mächte (und nicht nur wenige) uns von seiner Liebe trennen können. Dass alle (und nicht nur einige), die an ihn glauben, ewiges Leben bekommen.

Verbindlichkeit ist wichtig, damit Beziehung möglich ist, damit Sicherheit entsteht. Damit wir unseren Auftrag erfüllen können. Deswegen sollten wir bei aller Forderung nach Verbindlichkeit im Hinterkopf behalten, dass Verbindlichkeit eigentlich nicht das Ziel ist. Es ist der Weg zum Ziel. Es ist das, was wir lernen müssen, um das Ziel, Gottes Wunsch für unser Leben, erreichen zu können. Und genau deswegen ist Verbindlichkeit doch wichtig. Und weil wir als Gesellschaft ein bisschen vom Weg abgekommen sind, müssen wir Verbindlichkeit zum neuen Zwischenziel machen. Etwas, das wir lernen sollten. Und unserer Jugendlichen beibringen können. Weil es sich lohnt.

WIR ALS WELTBEWEGER

Stell dir vor, Noah hätte gesagt, ein commitment für die nächsten 120 Jahre, das ist zu lang, such‘ dir wen anderes, Gott, der dir dein Schiff baut. Stell dir vor, Josef hätte gesagt, 7 Jahre Getreide sammeln, nur weil es später mal ne Dürre gibt, wie unnötig. Aber diese beiden Männer haben nicht so reagiert. Stattdessen haben sie durch ihre Taten die Welt verändert. Und jetzt stell dir vor, was sich verändern könnte, wenn du verbindlicher lebst. Regelmäßig Bibel liest. Nicht jeden Freitag neu überlegst, ob du heute in die Jugend willst – sondern einfach hingehst. Dich eintragen lässt in den Putzplan deiner Gemeinde. In Freundschaften investierst, auch wenn es grad anstrengend ist. Stell dir vor, was wir als Generation mit unserer Kreativität, unseren Ideen und Möglichkeiten dann alles auf die Beine stellen könnten.

[1] Vgl. Prediger 7,10.

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