Der programmierte Schmerz

Leid hat viele Gesichter

Da sind Krankheiten, die die Ärzte nicht in den Griff bekommen. Ein Verkehrsunfall kann schlagartig das Leben verändern. Menschen sterben, die man so sehr liebte. Beziehungen zerbrechen, die lange Zeit das Leben trugen. Langjährige Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Einschränkungen verdunkeln das Leben. All dies bedeutet Leid. Leid, das sehr belastend sein kann. Leid, das ohne seelsorgerische Begleitung und die Unterstützung durch die Gemeinde vielleicht nur schwer bewältigt wird.

Christen und Nichtchristen erleben ausnahmslos beide diese Art von Leid. Gott lässt leidvolle Dinge geschehen, um Nichtchristen auf sich aufmerksam zu machen und sie in die Buße zu führen. Gott benutzt aber dieselben leidvollen Dinge auch, um den Glauben von Christen herauszufordern und auf diese Weise wachsen zu lassen.

Um diese Art von Leiderfahrungen – so schwerwiegend sie im Einzelfall auch sein mögen – wird es jetzt nicht gehen. Das Thema der folgenden Überlegungen betrifft das besondere, das einzigartige Leid, das ausschließlich Christen erleben:

Leid um Jesu willen

Leid um Jesu willen geschieht nicht zufällig. Verfolgungen, Benachteiligungen, Hohn, Spott und Mobbing um Jesu willen sind kein Zufall, kein „Pech“, kein Unglück, kein Missgeschick! Sie sind vorprogrammiert. Sie sind  programmierter Schmerz.

Leid um Jesu willen ist unabwendbar und unabdingbar. Es gehört zum Leben in der Nachfolge Jesu immer dazu. Nicht alle erleben es in gleicher Intensität. Es gibt Abstufungen. Aber in irgendeiner Form begegnet es allen.

Warum ist das so?

Weil Christen zu Jesus gehören. Diese Zugehörigkeit macht es! Wer Jesus seine Sünden bekannt, Vergebung erbeten (und bekommen) und dann sein Leben Jesus übergeben hat, der gehört zu ihm. Für immer. Unauflöslich. Unverlierbar. Das ist wunderbar! Aber es ist nicht harmlos! Wer durch den Heiligen Geist mit Jesus verbunden ist, wird bedrängt und verfolgt werden. Wie Jesus.

Jesus selbst hat sich dazu mit aller wünschenswerten Klarheit geäußert. Er sagte:

„Wenn die Welt euch hasst, denkt daran, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wenn ihr zur Welt gehören würdet,  würde sie euch als ihre Kinder lieben. Doch ihr gehört nicht zur Welt, denn ich habe euch ja aus der Welt heraus erwählt. Das ist der Grund, warum sie euch hasst. Denkt an das, was ich euch gesagt habe: ‚Ein Diener ist nicht größer als sein Herr.‘ Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen … Aber alles, was sie euch antun, ist gegen meinen Namen gerichtet, denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.“ (Joh 15,18-21)

Der Apostel Petrus formulierte es wenige Jahre später so: „Liebe Geschwister, wundert euch nicht über die Anfeindungen, die wie ein Feuersturm über euch gekommen sind, als wäre das etwas Außergewöhnliches. Freut euch vielmehr darüber, dass ihr so Anteil an den Leiden des Messias habt. Denn wenn er dann in seiner Herrlichkeit erscheint, werdet ihr mit Jubel und Freude erfüllt sein.“ (1Petr 4,12-13)

Und der Apostel Paulus ergänzt: „Ihr wisst ja selbst, dass wir als Christen leiden müssen. Schon als wir bei euch waren, haben wir euch immer wieder gesagt, dass sie uns verfolgen werden. Und was das bedeutet, wisst ihr jetzt.“ (1Thes 3,3-4) „Übrigens werden alle, die zu Jesus Christus gehören und so leben wollen, wie es Gott gefällt, Verfolgung erleben.“ (2Tim 3,12)

Die Bibel ist realistisch. Sie sagt nicht: „Wenn ihr Pech habt, kann es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass man euch angreift und bedrängt. Das ist dann bedauerlich und geht hoffentlich rasch vorüber, damit ihr unbeschwert eurer Wege gehen könnt.“ Nein, sie erklärt ohne Umschweife, dass Schmerz, Benachteiligungen, Demütigungen, Angriffe und Verfolgungen auf jeden Fall kommen werden. Jeder, der zu Jesus gehört, wird das erleben. Wurde Jesus gehasst, werden seine Jünger auch gehasst werden. Wurde Jesus verleumdet, werden sie es auch. Wurden Jesus Schmerzen zugefügt, wird es ihnen nicht anders ergehen. Es kann nicht anders sein! Denn Jesus und seine Jünger gehören immer zusammen. Sie sind wie ein (geistlicher) Organismus. Und darum bedeutet Leben in der Nachfolge Jesu immer (!) auch Leid.

Natürlich steht dieser Lebensentwurf völlig quer zu allem, was aktuell an Lebensentwürfen kursiert. Heute geht es in aller Regel um die Vermeidung von Leiderfahrung oder zumindest um die möglichst rasche Überwindung von Leid. Das Konzept der Nachfolge Jesu mit ihrem „programmierten Schmerz“ muss darum auf viele Menschen heute völlig schräg und komplett unakzeptabel wirken.

Aber es bleibt dabei: Die Erfahrung von Leid um Jesu willen hat einen festen Platz im Leben von Christen. Und das nicht, weil Christen etwa Freude am Schmerz hätten. Das haben sie natürlich nicht! Nein, es ist Leid mit Perspektive und Sinn: Wenn Christen verfolgt, bedrängt, benachteiligt, bedroht, verletzt und verleumdet werden, dann wissen sie, dass sie das Leiden des Christus teilen. Und das ist kein betrüblicher Nachteil, sondern ein Vorrecht. Der Apostel Paulus fasst diese Tatsache in die folgenden Worte: „Ihr habt das Vorrecht, nicht nur an Christus zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden“ (Phil 1,29). Und der Apostel Petrus fügt hinzu: „Freut euch vielmehr darüber, dass ihr so Anteil an den Leiden des Messias habt. Denn wenn er dann in seiner Herrlichkeit erscheint, werdet ihr mit Jubel und Freude erfüllt sein. Wenn ihr beschimpft werdet, weil ihr zu Christus gehört, seid ihr glücklich zu nennen, denn dann ruht der Geist der Herrlichkeit Gottes auf euch“ (1Petr 4,13-14).

Wer Leid erfährt, weil er zu Jesus gehört, hat Anteil an den Leiden des Christus. Es ist ein Leid, das Jesus ehrt und Gott verherrlicht. Es ist Leid mit Perspektive, denn im Himmel verwandelt es sich in randlose und endlose Herrlichkeit. Jesus erinnert uns daran: „Wie beneidenswert glücklich seid ihr, wenn sie euch beschimpfen, verfolgen und verleumden, weil ihr zu mir gehört. Freut euch und jubelt! Denn im Himmel wartet ein großer Lohn auf euch“ (Mt 5,11-12).

Wie sollen wir damit umgehen?

Wie soll man nun damit umgehen, wenn Leid um Jesu willen kommt? Wie soll man Verletzungen, Bedrohungen, Benachteiligungen und Demütigungen handhaben, die einen treffen, einfach, weil man zu Jesus gehört?

1. Wir halten fest: Gott hat immer die Kontrolle

Zunächst ist dies eine von besonderer Bedeutung: Gott hat immer die Kontrolle. Jesus hat immer die Kontrolle, egal, wie schlimm die Angriffe sind, denen man ausgesetzt ist. Als Jesus vor dem römischen Prokurator Pilatus  stand, versuchte der Jesus einzuschüchtern. Er schnauzte ihn an: „Weißt du nicht, dass ich die Macht habe, dich freizulassen? Ich kann dich aber auch kreuzigen lassen!“ (Joh 19,10). Jesus reagierte sehr gelassen auf diese Bedrohung. Er erwiderte: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11). Jesus machte damit klar: Nicht Pilatus hatte die Kontrolle (das glaubte der nur). In Wirklichkeit hatte der Vater im Himmel die Kontrolle. Absolut. Wenn Christen bedroht, bedrängt und gedemütigt werden, nur weil sie zu Jesus gehören, ist das ganz genauso: Nicht ihre Bedränger und Hasser haben die Kontrolle (das glauben die nur), sondern Gott hat die Kontrolle.

Das ist insofern wichtig, als in Phasen der Verfolgung und Bedrohung um Jesu willen ein besonderes Gefühl sehr dominant hervortritt: das Gefühl der Ohnmacht und der Verlassenheit. Man fühlt sich klein, ohnmächtig, verlassen und ausgeliefert. Und dieses Gefühl greift das Vertrauen zu Jesus frontal an. Man hat dann zeitweise den (falschen) Eindruck, dass selbst Gott hier nichts mehr machen könne. Mutlosigkeit, Verzweiflung und Bitterkeit schwappen innerlich hoch und überschwemmen die Seele. Dann besteht akut die Gefahr, dass wir aufgeben, die Segel streichen und uns in falscher Weise anpassen.  Darum ist es dann unmittelbar wichtig, sich daran zu erinnern, dass Jesus die Kontrolle hat. Schließlich ist ihm wirklich alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben (Mt 28,18). Er ist wirklich der Herr! Wenn man sich das (erneut) klarmacht, lockern Mutlosigkeit, Verzweiflung und Bitterkeit ihren  Klammergriff. Man kann dann innerlich wieder viel freier durchatmen. Oft ist es auch eine Hilfe, sich in dieser  Situation Geschwistern oder einem Seelsorger in der Gemeinde anzuvertrauen, die es einem bestätigen: Ja, es stimmt wirklich – Jesus ist der Herr! Er hat immer die Kontrolle!

2. Wir vergeben

Nun kommt ein Zweites hinzu, das entscheidend wichtig ist: Wir müssen unseren Verfolgern vergeben – immer wieder und möglichst rasch. Machen wir uns klar: Wenn Christen um Jesu willen angegriffen werden, spielen fast  immer Herabsetzungen, Verunglimpfungen und Verleumdungen eine Rolle. Die Feinde des Glaubens sind nicht zimperlich und wissen oft recht gut, wo sie uns am empfindlichsten treffen können. Wenn wir verlacht, für dumm erklärt, beschimpft und gemobbt werden, dann verletzt das sehr leicht unsere Gefühle. Klar! Im Handumdrehen lodern dann Gedanken der Rache und Vergeltung in uns auf. Wir werden bitter und auch innerlich aggressiv. Ändert sich daran nichts, verletzen wir dadurch unsere Seele selbst immer tiefer.

Es hilft nur eines: immer wieder und möglichst rasch zu vergeben, wenn wir verletzt worden sind. Jesus hat sehr deutlich gemacht (Mt 18,21-35), dass es für das Vergeben keine Grenze gibt. Damit gilt es, Ernst zu machen.

Wie gestaltet sich das praktisch? Wir wenden uns an Jesus und sagen: „Jesus, ich halte meine innere Anklage gegen diese meine Feinde (hier können konkrete Namen genannt werden) nicht aufrecht. Ich übertrage dir jetzt diese Anklage. Du sollst der Richter sein zwischen ihnen und mir, nicht ich. Ich lasse meine Feinde jetzt frei, ganz frei. Ich lasse sie laufen. Du wirst dich um alles kümmern, so, wie es richtig ist.“

Wenn wir das tun, fallen große innere Lasten von uns ab. Natürlich werden wir alles daransetzen, uns in Zukunft vor weiteren Verletzungen zu schützen. Aber selbst dann, wenn neue Verletzungen kommen sollten, verfahren wir immer wieder in derselben Weise: Wir halten die Anklage gegen unsere Feinde nicht aufrecht, sondern überlassen Jesus alles. Er ist der Richter.

Das ist enorm wichtig. Wenn wir Verletzungen und Bitterkeiten festhalten, riskieren wir, dass unsere Seele an ihnen krank wird.

3. Wir segnen

Schließlich noch ein Drittes: das Segnen der Feinde. Jesus hat einmal gesagt: „Liebt eure Feinde, tut denen Gutes, die  euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen! Betet für die, die euch beleidigen!“ (Lk 6,27-28). Das Vergeben bewältigt die Verletzungen, die oft die negative Folge von Bedrängnissen und Verfolgung sind. Das Vergeben ebnet den Weg für das Segnen der Feinde. Das Segnen der Feinde aber setzt der Verfolgung und dem Leid um Jesu willen etwas Positives entgegen.

Wer seine innere Anklage gegen seine Verfolger aufgegeben und Jesus überlassen hat, wird innerlich bereit, diejenigen zu segnen, die ihn hassen, verfluchen und beleidigen. Wer seine Feinde segnet, begegnet ihnen mit Liebe. Das bedeutet nicht, dass er plötzlich liebevolle Gefühle für sie hegt. Er weiß um ihre bleibende Gefährlichkeit. Sie bleiben (vorerst jedenfalls) auch seine Feinde. Aber er kann Gott bitten, ihnen Gutes zu tun und sie auf diese Weise zu segnen.

Wie sieht das konkret aus? Wir wenden uns an Jesus und sagen: „Jesus, ich stelle meine Feinde (hier können konkrete Namen genannt werden) in dein Licht und segne sie so. Du siehst sie. Du kennst sie. Du weißt, wer sie sind. Du weißt auch um ihre Verlorenheit und ihre Wut. Bitte tue ihnen Gutes, so wie du mir Gutes getan hast, als ich noch dein Feind war. So segne ich jetzt in deinem Namen die, die mich hassen, verfluchen und beleidigen. Du bist der Herr. Ich will dir weiter nachfolgen. Nichts ist mir wichtiger!“

Wer seine Verfolger in dieser Weise segnet, wird selbst wieder von Gott gesegnet werden. Denn Gott segnet die, die seinen Willen tun. Und das Ganze hat auch noch eine schöne Nebenwirkung: Das Böse nämlich, das seine Feinde möglicherweise weiter gegen ihn planen, trifft seine Seele nun nicht mehr so direkt und schutzlos wie vorher. Denn wer seine Feinde segnet, legt eine von Gottes Gegenwart erfüllte Distanz zwischen sich und sie.

Wer Leid erfährt, weil er zu Jesus gehört, hat Anteil an den Leiden des Messias. Das ist ein Vorrecht, aber auch eine bleibende Herausforderung. Wer das Vertrauen bewahrt, dass Jesus immer die Kontrolle hat, wer seinen Verfolgern vergibt und sie segnet, wird diese Herausforderung bestehen und Gott damit ehren. 

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