Den Mitmenschen im Blick

Welche Aufgaben haben wir in der Gesellschaft?

Um es vorwegzunehmen: Einen ausdrücklichen Auftrag für Christen zur Gesellschaftsveränderung kann ich nicht erkennen – wohl aber den, das Evangelium zu verkünden. Dadurch und wie sie es tun, erfolgt gesellschaftliche Veränderung.

Gott regiert

Zunächst: Es ist Gott, der Gesellschaft ändert. Er wacht über die Weltgeschichte. Daniel sagt anbetend über Gott: „Er setzt Könige ab und setzt Könige ein“ (Dan 2,1). Dabei findet hinter den Kulissen ein geistlicher Kampf statt, in den Menschen kaum Einblick haben (Dan 10,13).

Der Bericht über den Turmbau zu Babel lehrt uns: Um der Eskalation des Bösen Einhalt zu gebieten, teilt Gott die Menschheit in Völker. Paulus nimmt in seiner berühmten Rede auf dem Areopag darauf Bezug: Gott teilt die Menschheit nicht nur in Völker auf, er bestimmt auch, wie lange und in welchen Grenzen sie existieren – dies zu dem eigentlichen Ziel, dass Menschen zu ihm finden (Apg 17,26f).

In innerer Verbindung mit der Aufteilung der Menschheit in Völker steht die Rechtsstaatlichkeit. Das wird mit den Aufforderungen zum Gehorsam gegenüber der jeweiligen Obrigkeit deutlich (1Petr 2,12-20). Mit Mitteln von Strafe und Belohnung wacht sie über die Einhaltung des ordnenden Rechtes. Rechtsstaatlichkeit ist von der Bibel als eine grundlegende Ordnung Gottes zu begreifen, die das Chaos zurückdrängt. Paulus beschreibt Obrigkeit in seinem Brief an die Gemeinde in Rom sogar als Gottes Dienerin – dies unabhängig davon, wie sehr sie sich dabei tatsächlich nach Gottes Geboten richtet (Röm 13,1-7). Es ist zu bedenken, dass der Römerbrief zur Zeit eines Kaisers wie Nero geschrieben wurde.

Der Auftrag zum Gebet und der Segen Gottes

Wie Regentschaft ausgerichtet und geführt geübt wird, hängt neben der Gottesfurcht der jeweils Regierenden ganz maßgeblich vom Segen Gottes ab. Deshalb ruft Paulus zum Gebet für die Obrigkeit auf (1Tim 2,1-6). Er begründet das mit zwei Wirkungen: Ruhe und Ordnung einerseits und auf diesem Hintergrund Rettung von Menschen durch die Möglichkeit, das Evangelium zu verkünden.

Das Verhalten des Paulus gegenüber staatlicher Repression zeigt, dass obrigkeitliches Wirken auch zum Schutz von Gläubigen dient und von diesen nach Möglichkeit in Anspruch genommen werden soll (Apg 16,37; 22,25ff; 25,11).

Die Zwiesprache Abrahams mit Gott im Vorfeld des Gerichts über Sodom und Gomorra zeigt, dass Gott seinen Segen für Gemeinwesen als Antwort auf Gebet schenkt, aber darüber hinaus generell auch um der Gläubigen willen. In dieselbe Richtung weisen die Aussagen der Bibel, in denen deutlich gemacht wird, dass gottesfürchtige Menschen einen segnenden Einfluss auf das soziale Miteinander haben (Spr 11,11; 14,34).

Mitwirkung

Das Reich Gottes wird seitens des Menschen nicht mit Gewalt gebaut. Für Gläubige gilt: Selig sind die Friedfertigen (Mt 5,9ff.; 1Petr 2,12-20). Jesus selbst ordnet sich der Obrigkeit unter, obwohl sie gegen ihn gerichtet ist (1Petr 2,23). Indem er Petrus den Gebrauch des Schwertes verwehrt, macht er deutlich, dass Gottes Reich vonseiten der Gläubigen nicht mit Mitteln der Gewalt erkämpft wird (Mt 26,52).

Letzteres bedeutet aber nicht, dass Gläubigen der Dienst in einer staatlichen Ordnungsmacht wie Polizei oder Militär verwehrt wäre. Trotz des bekannten Fehlverhaltens (Mt 20,25) von Regierenden haben Jesus und die Apostel ein positives Verhältnis zur Staatsmacht. Soldaten sind von Jesus nicht aufgefordert, den Dienst zu quittieren, sondern kein Unrecht zu tun und – interessant! – mit dem Sold zufrieden, also auch unter Opfern loyal zu sein (Lk 3,14). Damit stimmen die bekannten Berichte über gläubig gewordene Militärs (Mt 8,5-13; Apg 10; 16,31) überein.

In gleicher Weise könnte gefragt werden, ob Christen in der Politik mitwirken sollen. Manche verneinen das. Die Gegenfrage lautet, wie sich Obrigkeit an den Ordnungen Gottes orientieren kann, wenn Christen sich der Mitwirkung entziehen. Die Erfahrung Daniels (Dan 2,48; 6,1-4) oder auch Mordechais (Est 10) zeigt, dass Gott gläubige Menschen sehr wohl auch im Heidentum in den Dienst von Politik und Regierung beruft. Gläubige „Herren“ sind ebenfalls nicht aufgerufen, sich zurückzuziehen, sondern gerecht zu handeln (Eph 6,9, Kol 4,1).

In der Betrachtung der Geschichte ist auffällig, wie enorm segensreich sich das Wirken von Gläubigen auf die Gesellschaft ausgewirkt hat. England wurde durch die Erweckung des 18. Jahrhunderts vor einer blutigen Revolution bewahrt. Die Entstehung der großen Errungenschaften unserer Kultur wie Demokratie und Menschenrechte und ebenso auch die wirtschaftliche Prosperität sind nur auf dem Hintergrund einer Wertebildung durch Gottes Wort erklärbar.

Das Ziel, auf das Christen hinwirken, liegt in Gottes neuer Schöpfung in der Ewigkeit (Offb 21–22). Sie verwalten die gegenwärtige Schöpfung konstruktiv für Gott (1Mo 1,28; Ps 8,7ff.), aber sie schaffen kein Himmelreich auf Erden. Das betrifft auch die gesellschaftlichen Verhältnisse. Zeiten dieser Welt sind Zeiten, dem Ruf Jesu zu begegnen (Joh 6,45; Hi 33,29f.), und damit Gnadenzeiten.

Konstruktivität, Barmherzigkeit und Dienen

Der in seiner Wirkung gesellschaftsverändernde Beitrag von Christen beruht auf folgenden Grundhaltungen: Hier wäre zunächst die bereits erwähnte konstruktive Grundhaltung zu nennen. Die Aufforderung des Jeremia an die Exil-Juden in Babylonien, „der Stadt Bestes“ zu suchen (Jer 29,7), steht symbolisch für den Appell an Gläubige zu allen Zeiten, die Umstände, in die sie gestellt sind, aus Gottes Hand anzunehmen und sich trotz Widrigkeiten, Leiden und unrechtmäßiger Behandlung unterstützend in das soziale Miteinander einzubringen (Eph 4,5-8; 1Petr 2,12-18). Dazu gehören auch die finanzielle Korrektheit (Mt 17,27; 22,21) und das Verhalten am Arbeitsplatz (Eph 6,5; 1Tim 6,2). Dadurch erfolgt eine Form von Verkündigung. Das Handeln von Menschen, die durch Gottes Geist verändert sind, zeigt gesellschaftliche Wirkungen dadurch, dass es andere mit Jesus Christus und seiner Botschaft konfrontiert. Paulus spricht vom „Wohlgeruch“ und vom „Brief Christi“, der von den Menschen gelesen wird (2Kor 2,15; 3,2-3).

Weitere innere Haltungen, die dem Leben des Christen in der Gesellschaft zugrunde liegen, sind die der Barmherzigkeit und des Dienens. Jesus macht mit dem berühmten Katalog der „Taten der Barmherzigkeit“ in Ausführung der Gleichnisse von den zehn Jungfrauen und den den Knechten anvertrauten Talenten deutlich, dass Nachfolge mitten im Leben und damit auch mitten in der Gesellschaft und an der Gesellschaft stattfindet (Mt 25). Die Weltgeschichte ist voll von Beispielen dafür: die Entstehung der christlichen Hospize, die Armenfürsorge, die Sklavenbefreiung und vieles mehr.

Jesus verkünden in Wort und Tat

Diese Wirkung christlichen Lebens kann aber nur als ein Weg von Verkündung begriffen werden. Christen sind berufen, „die Tugenden“ dessen zu verkünden, der sie berufen hat (1Petr 2,9). Sie stellen mit ihrem Handeln und mit ihrem Reden den Menschen Christus vor Augen und konfrontieren sie mit seiner Heil bringenden Botschaft. Menschen dieser Welt erhalten durch das Handeln von Christen ein Bild von dem, in dessen Dienst diese stehen. Das Bild, das Christen von Jesus abgeben, kann förderlich und – leider – auch hinderlich sein (1Petr 2,12-16), wenn es nämlich diesem gar nicht entspricht.

Das Reden von Christus erfolgt in verschiedener Weise: Es erfolgt teilweise ohne Worte durch Tun. Es erfolgt im zeugnishaften Teilhaben- Lassen am eigenen Leben mit Jesus. Es erfolgt im Reden von Jesus in den natürlichen Lebensbezügen. Es erfolgt durch das geplante und ungeplante Weitergeben von bibli- scher Wahrheit in unterschiedlichen Rahmenbedingungen (2Tim 4,2).

Das Verkünden der Botschaft Jesu wird in der Bibel immer ganzheitlich verstanden, nicht isoliert von der Wirklichkeit. Verkündigung, wie sie die Bibel lehrt, zeigt, wie die Wirklichkeit, d. h. die Welt, die Dinge des Lebens, von Gott her zu sehen sind. Daraus entstehen Werte, Auffassungen über Gut und Böse. Daraus werden die Fragen nach dem Sinn des Lebens beantwortet. Deshalb sah sich die Gemeinde Jesu in der Geschichte verantwortlich für Bildung. Weithin vergessen ist, dass die Gründung von Schulen und Universitäten durch Christen und durch die Kirche erfolgte. Das Entstehen von Forschung und Wissenschaft geht zurück auf das Verlangen, die Geheimnisse in Gottes Schöpfung zu erfassen (Spr 25,2). Glaube und Denken gehören zusammen (Kol 2,3). Das Begreifen der Erlösung Jesu kann letzten Endes nur geschehen, wenn es eingebettet ist in das biblische Verstehen der Welt, des Menschen und Gottes (5Mo 6,6f.; 2Tim 3,16). So muss auch die Bildung neben der Diakonie und der Mildtätigkeit auf der Grundlage eines konstruktiven Engagements als Auftrag der Gemeinde Jesu gesehen werden.

Der eigentliche Auftrag für Christen zum gesellschaftlichen Wirken ist die Verkündigung der Erlösung Jesu, hinzugehen in alle Welt, dorthin, wo die Menschen sind, und sie zu Jüngern zu machen (Mt 28,19-20; Lk 14,23). Darauf läuft alles christliche Handeln hinaus. Dieses Handeln ist der ganzheitliche Rahmen für Verkündigung, aber es kann kein Ersatz sein für die Verkündigung selbst.

 

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