Trauern und Feiern – wie passt das zusammen?

Eine bemerkenswerte Begebenheit ereignete sich im „Monat der fließenden Wasserbäche“ (der Monat „Ethanim“ wird übersetzt mit „beständig“, vgl. 1Kö 8,2) – ausgerechnet vor dem Wassertor. Ort und Zeit des Geschehens weisen auf die reinigende Wirkung des Wortes Gottes hin – vergleichbar mit einem Bad im Wasser (vgl. Eph 5,26). Dieser Zusammenhang wird, wie wir noch sehen werden, auffallend gut in den Ereignissen unseres Textes deutlich.

Nachdem die Mauer Jerusalems endlich aufgebaut war, hatte das Volk ein erstaunliches Interesse daran, die Worte des Gesetzes zu hören. Es bat daher den Priester Esra um Hilfe. Er muss diesem Wunsch gerne nachgekommen sein, denn er selbst hatte (wie wir in Esra 7,10 lesen) ein großes Anliegen für das „Gesetz des Herrn“. Die Einstellung gegenüber Gott und seinem Wort stimmte. In den Versen 3 bis 7 finden wir zahlreiche Hinweise im praktischen Verhalten der Juden, die auf eine angemessene Herzenseinstellung hindeuten.

Welche Haltung nehmen wir zu Gott und seinem Wort ein?

Das ist eine wichtige Frage! Denn wenn wir Gottes Wort ernsthaft und aufmerksam hören, wird das Auswirkungen auf unser Leben haben. Gott sendet uns sein Wort; und es liegt in der Natur dieses Wortes, dass es Dinge in unserem Leben bewirkt, die ihm gefallen (vgl. Jes 55,10-11). Darum ist es so wichtig, dass wir uns der Wirkung des Wortes Gottes regelmäßig aussetzen und uns darunter stellen. Bei den jüdischen Zuhörern hatten die Lesung und Erläuterung des Gesetzes zwei entscheidende Auswirkungen – die, oberflächlich betrachtet, paradox erscheinen.

Die erste Reaktion: Tiefe Trauer

In Vers 9 sehen wir zunächst, dass die Zuhörer eine tiefe Trauer überwältigte. Das Gesetz wirkte wie ein Spiegel, der ihnen ihre eigene Sündhaftigkeit offenbarte (vgl. Jak 1,23-24). Sie wurden wohl an ihre sündige Vergangenheit und den Ungehorsam gegen Gott erinnert, der sie und ihre Väter letztlich in die Gefangenschaft nach Babylon geführt hatte. Eine solche Erkenntnis der eigenen Schuld beschreibt Paulus in 2. Korinther 7,10: „Die Betrübnis nach Gottes Sinn bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod.“ Zweifelsohne kann Trauer in unserem Leben Schaden anrichten. Wenn sie gottgewirkt ist, bringt sie aber Gutes hervor. Sie geht dann echter Buße voraus. Ohne Zerbruch sind wahre Umkehr und tiefgreifende Veränderung schwer möglich, weshalb Jakobus in diesem Zusammenhang tatsächlich zu einer solchen Traurigkeit auffordert (vgl. Jak 4,8-10).

Wir sind heute oft dazu geneigt, Sünde zu verharmlosen – andererseits sollte uns die Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit nicht zum Stillstand führen. Wenn wir nur auf uns schauen, macht sich schnell Mutlosigkeit breit. Was haben wir in der Vergangenheit bereits versäumt! Wie viele falsche Entscheidungen wurden getroffen! Die gute Nachricht ist aber: Gott schenkt Neuanfang!

Und dann kehrt Freude ein

In Vers 10 ergreifen deshalb Nehemia, Esra und die Leviten das Wort. Sie lenken die von Tränen beschwerten Augen des Volkes auf das Handeln Gottes. Er hatte sich der Israeliten angenommen und sie in seiner Güte aus der Gefangenschaft befreit. Die „Freude am Herrn“ durfte ihnen eine Zuflucht von eigenem Unvermögen und ein Schutz vor damit verbundener Niedergeschlagenheit sein. Dieser Tag war nicht für Verzweiflung reserviert; Gott hatte diesen „heiligen“ Tag zum Feiern auserkoren. Die fetten Speisen und süßen Getränke versinnbildlichen die Fülle seiner Güte gegenüber dem Volk, an der jeder – ob arm oder reich – teilhaben durfte. Später feierten sie dann ein siebentägiges Freudenfest: das Laubhüttenfest aus 3Mo 23,33-36. Dadurch waren sie dem reinigenden Gesetz Gottes gehorsam, das ihren Willen zur Umkehr bewirkt hatte, sodass nach anfänglicher Trauer Freude am Herrn einkehrte. Neben der Sündenerkenntnis war dies die zweite Wirkung des Wortes auf seine Zuhörer.

Freude ist ein Kennzeichen von Christen!

Auch im Neuen Testament liegt die Betonung immer wieder auf der Freude, die uns als Christen kennzeichnen soll (vgl. Phil 3,13; 4,4). Und wir haben allen Grund dazu! Wie die Israeliten vor langer Zeit durch die Wüste in Richtung Gelobtes Land zogen, so haben auch wir ein herrliches Ziel vor uns. Wir leben heute ebenfalls in Hütten – natürlich im übertragenen Sinne (2Kor 5,4; 2Petr 3,12). Obwohl noch auf der Erde, sind wir bereits „Bürger des Himmels“ (vgl. Phil 3,20), die sich auf ihre Heimat freuen. Statt den Fokus auf uns zu legen, dürfen wir heute von uns weg, hin zum „Anfänger und Vollender des Glaubens“ schauen (vgl. Hebr 12,2). Wenn wir seine Worte ernsthaft hören, kann Freude am Herrn auch in unser Leben einziehen.

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