Not macht erfinderisch

Traktat kommt von Traktieren

Mein Bild von Evangelisation war geprägt davon, Menschen etwas zu geben, was diese gar nicht wollten. Ich verstand alle, die sich von meinen Traktaten traktiert fühlten. Hätten Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften mich so umworben, wie ich es mit ihnen tat, hätte ich ähnlich reagiert, wie es die meisten bei mir taten: Sie machten einen Bogen um mich.

Nicht selten sind es solche Eindrücke, die dafür sorgen, dass Gläubigen die Weitergabe des Evangeliums schwer fällt.

Falsche Methoden?

Sollten wir also die Methoden wechseln? Müssen die Einladungen zur Evangelisation mehr Style haben? Knackigere Formulierungen? Müssen die Veranstaltungen mehr Unterhaltungswert haben? Oder lässt es sich nicht vermeiden, dass man sich zur Evangelisation zwingen muss, weil Jesus nun mal vorhergesagt hat, dass seine Nachfolger von allen gehasst werden würden (Lk 21,17)?

Wenn wir Jesus zuschauen, wie es ihm erging, als er den Menschen in den Fußgängerzonen Israels begegnete, dann fällt auf, dass er mit dem Herz bei der Sache war: „Als er aber die Volksmenge sah, empfand er Mitleid mit ihnen, weil sie ermattet und vernachlässigt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Mt 9,36)

Was ihn in seinem Dienst antrieb, waren nicht Schuldgefühle oder „Druck von oben“. Er sah Menschen, die litten. Die für die Probleme ihres Lebens keine Lösung hatten. Die heimatlos umherirrten – auch wenn äußerlich alles in Ordnung zu sein schien. Es war seine aufrichtige, göttliche Liebe, die ihn dazu brachte, durch alle Städte und Dörfer in der Gegend zu ziehen (Mt 9,35).

Herz und Vorbild

Jesu Reaktion auf den Zustand der verlorenen Menschen um ihn herum war dann aber nicht zuerst eine neue Methode der Evangelisation. Sondern Mitgefühl. Und dieses Mitgefühl brachte ihn zuerst dazu, selbst aktiv zu werden. Zu lehren, die Botschaft zu verkündigen und zu heilen. Aber anstatt dass er dann seinen Schülern sagte: „Jetzt seid ihr dran!“, empfahl er ihnen: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende!“

Wollte er nicht, dass die Jünger losmarschierten und die gute Botschaft weitertrugen? Bestimmt. Aber er wollte dazu keine von Motivationsreden beseelten Performer, sondern vom Heiligen Geist bewegte Seelenretter. Menschen, die wussten, dass es nicht an der Methode liegt, sondern an dem sendenden Herrn der Ernte. Jünger, die zur Erfüllung ihres eigenen Gebetsanliegens werden würden.

Kalte Herzen

Jesus zeigt uns, dass der erste Schritt unserer Gemeinden hin zu mehr Evangelisation ein innerlicher Schritt ist. Unser Herz von ihm bewegen zu lassen.

Wenn Walter Mauerhofer schreibt, dass „der Mensch die Methode Gottes zur Evangelisation“ ist (1), dann beschreibt er damit den Kern von Gottes Rettungsmission, der selbst Mensch geworden ist, um zu retten. Und nun seine Jünger einlädt, es ihm nachzutun – und sich dazu erst einmal selbst ein Retterherz von ihm schenken zu lassen.

Wenn wir feststellen, dass uns selbst oder unseren Glaubens-Geschwistern die Rettung von Verlorenen kein Anliegen ist, dann sollte unser erster Schritt sein, damit ins Gebet zu gehen. Den HERRN zu bitten, dass er uns unsere „Notlosigkeit“ zur Not macht. Dass unsere Herzen weich werden, um Mitleid empfinden zu können mit Menschen, die umherirren wie hirtenlose Schafe.

Dass in vielen Gemeinden so oft um Randthemen gestritten wird, dass Uneinigkeit und Parteiungen Beziehungen zerstören, ist ein Indikator für unterkühlte und erkältete Herzen. Paulus rät seinem Schüler Timotheus in diesem Fall eindringlich, die Wortstreitereien zu unterbinden und selbst mit gutem Vorbild im Eifer voranzugehen (2Tim 2,14- 16). Menschen mit Retterherzen haben keine Zeit, um Worte zu streiten, weil sie um Herzen kämpfen müssen.

Die Liebe sprüht vor Ideen

Wenn es dann tatsächlich die „Retterliebe des Christus“ ist, die uns drängt (2Kor 5,14), dann werden wir bei uns selbst und anderen zulassen, dass alte Pfade verlassen und unkonventionelle Wege beschritten werden, wenn sie uns nur zum Nächsten bringen.

Vielleicht werden wir dann überlegen, wie wir weniger „traktierend“ wahrgenommen werden – und starten in der Fußgängerzone und am Gartenzaun mit einer Umfrage unserer Gemeinde zum Thema Religiosität, anstatt mit einem Faltblatt.

Oder wir versuchen durch Gastfreundschaft und soziale Projekte den Menschen zu zeigen, dass wir uns nicht einfach das schlechte Gewissen „weg-evangelisieren“ wollen. Dass wir nicht deswegen aktiv sind, weil der Druck irgendwelcher religiöser Führer groß genug ist. Sondern weil sie uns tatsächlich am Herzen liegen und wir bereit sind, Opfer dafür zu bringen, sie das spüren zu lassen.

Not hat schon immer erfinderisch gemacht. Aber es braucht den Herrn der Ernte, der uns die Augen für diese Not öffnet, uns ein Herz voller Mitleid für die Notleidenden schenkt und uns dann Ideen gibt, wie wir seine Liebe so weitergeben können, dass sie auch als solche wahrgenommen wird. Dass Menschen die Botschaft vom Kreuz ablehnen und als Unsinn empfinden, sollte uns nicht überraschen (1Kor 1,18). Wenn sie unsere Methoden zur Evangelisation aber als unattraktiv und lieblos wahrnehmen, sollten wir uns fragen, ob es tatsächlich Gottes Liebe ist, die uns antreibt.

Fußnote:

(1) Walter Mauerhofer, Evangelisation Praxistipps, S. 86; ISBN 978-3-86699-752-3;
Gratis Download auch unter www.crossload.org

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