Von der Evangelisation zur Jüngerschaft

Evangelisation und Jüngerschaft – zwei Bereiche, in denen wir mehr Fragen als Antworten haben.

Wie erreichen wir Menschen mit dem Evangelium? Wie werden sie zu Jüngern Jesu? Wie können Gemeinden Gläubigen dabei helfen, sich auf den Weg zu machen – Jesus nach?

Dramatische Zahlen

Jüngerschaft ist kein selbstverständliches Ergebnis von Evangelisation. In seinem Buch Evangelism: Learning From the Past zeigt der Evangelist und Theologe Michael Green, dass das nicht nur im woken Europa von heute ein Problem ist. Auch in der „goldenen Zeit“ der Massenevangelisationen, in den USA der 60er- und 70er-Jahre, wurden Bekehrte nicht von allein zu Jüngern. Green erläutert das am Beispiel der Billy-Graham-„Crusades“. Bei einer Reihe dieser Großevangelisationen wurden 52253 Bekehrungen verzeichnet – aber man fand später heraus, dass sich nur 3802 – 7 Prozent! – von diesen Menschen einer lokalen christlichen Gemeinde angeschlossen hatten.

Ebenfalls dramatisch klein ist der Anteil der Jünger Jesu, die bis zum Schluss durchhalten. Wie Demas, der Paulus verließ (2Thes 4,10), erleben wir regelmäßig, dass Christen aufgeben und ihrer Gemeinde den Rücken kehren. Experten schätzen, dass nur 30 Prozent der Christen den „Lauf vollenden“.

Die Gründe sind vielfältig, und an Umständen wie einer sich verändernden Kultur können wir wenig ändern. Aber wir sind nicht hilflos. Jüngerschaft ist möglich. Jedoch müssen zuerst zwei grundlegende Fragen geklärt werden: Wer ist ein Jünger? Und: Was ist Jüngerschaft?

Wer ist ein Jünger?

Der größte Denkfehler, den wir begangen haben, ist, anzunehmen, ein Jünger sei ein Christ, der eine „zweite Stufe“ erreicht habe. Als gäbe es eine Zeit zwischen der Bekehrung und dem Betreten des Weges, Jesus nach.

Betrachten wir Bekehrung und Nachfolge als Dinge, die nicht zusammenhängen, werden wir in unserer Predigt unausgewogene Betonungen setzen. Wir werden die Notwendigkeit der Errettung predigen – was eine gute Sache ist! Weniger gut ist, wenn Nichtgläubige nicht verstehen, wie ein Leben als Christ aussieht.

Ein Bild dazu gibt Karen Swallow Prior in ihrem Buch The Evangelical Imagination:

Unsere Betonung von „Bekehrung“ in der Verkündigung hat die Bedeutung des Lebens als Gläubiger überstrahlt. Es ist, als wenn wir so viel Aufhebens von der Hochzeit gemacht haben, dass – wenn das Konfetti aufgefegt und der Champagner ausgetrunken ist – die Frischverheirateten unsicher sind, wie man denn gemeinsam in dieser neuen Beziehung leben soll.

Wenn wir evangelisieren, rufen wir Menschen zu einem Leben mit Gott auf. Jesus nachfolgen und ihm ähnlicher werden – kurz: Jesus erkennen.

Eigentlich einfach. Trotzdem wird das Thema emotional diskutiert – die einen sagen: „Bekehrung ist nicht Jüngerschaft! Das wäre Gesetzlichkeit!“, die anderen fragen: „Kann jemand Christ sein, aber Christus nicht nachfolgen?“ Aber für die Autoren des Neuen Testaments gibt es hier keinen Unter- schied. Sie unterscheiden nicht zwischen Bekehrtem und Jünger (s. Apg 6,1-2; 9,1-2; 9,26; 11,26; 14,21-22). Das macht klar, dass Jüngerschaft keine Option ist. Es ist der „natürliche Zustand“ eines jeden Gläubigen.

Jüngerschaft ist nicht gleich Effektivität

Die Frage, was Jüngerschaft ist, muss ebenfalls geklärt werden. Es fällt uns schwer, Jüngerschaft in der Gemeinde voranzubringen, weil wir ein schiefes Bild davon vermitteln. Wir meinen, Jüngerschaft habe mit Leistung zu tun. Wir denken: Ein Christ ist einfach ein Christ, aber ein Jünger erreicht Großes für Gott! Er erobert die halbe Welt für Christus, nachts betet er, statt zu schlafen, Eigentum besitzt er nicht.

Aber Jünger Jesu sind nicht perfekt. Petrus war nicht perfekt, Paulus hat sich nicht als „vollkommen“ gesehen. Unrealistische Erwartungen helfen uns nicht weiter. Stattdessen müssen wir unseren jungen Geschwistern zeigen, dass alle Jünger Jesu – egal, wie wirksam – eine Sache gemeinsam haben: Sie sind von Christus ergriffen:

Ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin. (Phil 3,12b)

Jünger Jesu sind überwältigt von Christus. Sie haben Jesus erlebt, ihn mit geistlichen Augen gesehen. Und sie sagen: „Dafür will ich leben!“ Jünger sind nicht perfekt – viele sind unperfekt –, aber sie sind ergriffen von Jesus.

Das beste „Rezept“, wie Nachfolge funktionieren kann, ist alt und gut erprobt: das gelebte Vorbild. Lasst uns von Jesus ergriffene Nachfolger sein, damit wir Vorbilder für die nächste Generation werden:

Und ihr seid unsere Nachfolger geworden und die des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist, sodass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Makedonien und Achaia. (1Thes 1,6-7)

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