Das größte Problem der Gemeinde heute – (k)ein anderes Evangelium?

In Galater 1,8 fährt Paulus schweres Geschütz auf: „Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.“ So mancher Zeitgenosse mag sich da fragen: Geht es nicht eine Nummer kleiner? Man kann ja für seine Meinung streiten. Aber andere verfluchen? Das geht doch gar nicht!

Aber was hat Paulus eigentlich genau gemeint mit dieser Aussage?

Das griechische Wort anathema zeigt an, dass etwas dem Gericht Gottes ausgeliefert wird. Johannes schrieb am Ende der Offenbarung inhaltlich im Grunde genau das Gleiche: Jedem, der die Botschaft dieses Buches verändert, drohen die Gerichtsplagen Gottes (Offenbarung 22,18-19). Und bemerkenswert ist: Paulus stellt sich selbst mit unter die Gerichtsdrohung („Aber selbst wenn wir …“)! Auch ihn selbst soll das Gericht Gottes also treffen, wenn er etwas Falsches predigt.

Das bringt uns zu der Frage: Warum hat sich Paulus hier so drastisch ausgedrückt? Was trieb den Apostel, hier sämtliche Samthandschuhe auszuziehen?

Stellen Sie sich vor, Sie würden Folgendes in der Zeitung lesen: Eine Firma, die Rettungsringe herstellt, hat beim Material gespart. Die Rettungsringe sehen zwar immer noch genauso aus wie bisher. Sie schwimmen auch auf dem Wasser. Aber durch das billige Füllmaterial gehen sie unter, sobald sich jemand daran festhält. Es wird wohl kaum jemanden geben, der nicht der Meinung ist, dass die Verantwortlichen vor Gericht gehören! Sie müssen verklagt und hart verurteilt werden. Denn mit ihrem Verhalten haben sie das Leben von Menschen gefährdet!

Ganz offenkundig war für Paulus eine Fälschung des Evangeliums mindestens genauso ernst wie die Fälschung eines Rettungsrings. Denn Paulus verstand das Evangelium als eine dringend notwendige Rettungsbotschaft, die die Menschen vor dem ewigen Tod bewahrt. Dabei galt für ihn: Nur das richtige Evangelium rettet! Nur die Botschaft, die er direkt von Gott empfangen hat (Galater 1,11-12!), bringt den Menschen das (ewige) Leben. Das anathema in Galater 1,8 unterstreicht somit die Dringlichkeit, die Göttlichkeit, die exklusive Wahrheit und den Rettungscharakter der apostolischen Evangeliumsbotschaft.

Trotz dieser Klarheit und Deutlichkeit von Paulus wird heute leider kaum noch über das Problem von verfälschten Evangeliumsbotschaften gesprochen. Das Traurige daran ist: Wenn falschen Lehren nicht widersprochen wird, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Christen darauf hereinfallen und es zunehmend zu Verwirrung, Konflikten und Spaltungen kommt.

Im Galaterbrief scheut Paulus sich deshalb nicht, sogar Petrus namentlich und öffentlich zu kritisieren, als er sah, dass Petrus „sich nicht an die Wahrheit der Botschaft Gottes hielt“ (Galater 2,14). Damit hat Paulus uns eine wichtige Lektion mit auf den Weg gegeben: KEIN Mensch ist fehlerfrei. Wir sollten uns niemals so stark an einen bestimmten christlichen Leiter oder Lehrer hängen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Botschaft dieses Menschen zu kritisieren, falls sie sich offenkundig von zentralen Aussagen in Gottes Wort entfernt. Und umgekehrt sollten wir es immer ernst nehmen und dankbar sein, wenn uns jemand auf der Basis von Gottes Wort ermahnt. Petrus konnte ganz offenkundig mit der Kritik von Paulus gut umgehen. Schließlich hat er später den Paulusbriefen trotz dieser Kritik uneingeschränkte Schriftautorität zugesprochen (2. Petrus 3,16)!

Falsche Evangeliumsbotschaften gab es zu allen Zeiten in der Kirchengeschichte. Es gibt sie auch heute noch – leider sogar mitten in der allianz-evangelikalen Welt. Paulus definierte das Evangelium in Galater 1,4 so: „Er hat sich selbst für uns geopfert und ist nach dem Willen Gottes, unseres Vaters, für unsere Sünden gestorben, um uns aus dieser bösen Welt, in der wir leben, zu retten.“ Im Buch „glauben lieben hoffen“ liest man hingegen: „Um die Sünde der Menschen hinweg zu nehmen, braucht es eigentlich kein Opfer und keinen Geopferten.“ Klarer könnte der Widerspruch kaum sein. Es hat mich erschüttert, so etwas in einem Buch zu lesen, das von freikirchlichen Leitern herausgegeben wurde in einem Verlag, der eigentlich als evangelikal gilt.

Oft kommen falsche Evangeliumsbotschaften aber sehr viel subtiler daher. Ein leider weit verbreitetes Phänomen ist der Trend zur „Subjektivierung“. Da wird zwar zunächst gesagt: Die traditionellen Bekenntnisse und biblischen Lehren sind richtig. Man fügt jedoch hinzu: Es gibt auch noch andere berechtigte Sichtweisen. Für einige Menschen sei es zum Beispiel stimmiger, das Kreuz so zu begreifen, dass Jesus dort vor allem für unsere Scham gestorben sei, statt „für unsere Sünden“. Aber ist denn die Wahrheit vom Empfinden der Hörer abhängig? Ganz sicher nicht. Das biblische Evangelium ist objektiv für alle Menschen wahr, ob sie es hören wollen oder nicht.

Manche Theologen entwickeln eine wahre Meisterschaft darin, vertraute biblische Begriffe zwar zu verwenden, diese aber mit völlig anderen Inhalten zu füllen. Man nennt das „Äquivokation“. So ist für viele Theologen zum Beispiel der Tod Jesu am Kreuz durchaus ein „Opfer“. Man meint damit aber nicht mehr das stellvertretende Sühneopfer, mit dem Jesus „sich selbst für uns geopfert“ hat. Stattdessen meint man, Jesus sei ein Opfer der römischen Willkürherrschaft gewesen. Treffend lesen wir in Sprüche 15,4 über diese unselige Praxis: „Heilende Worte sind ein Baum des Lebens. Wer sie verdreht, zerstört ihre Wirkung.“ Das merke ich so oft: Ich höre in Predigten zwar die vertrauten Begriffe. Trotzdem ist die Botschaft nur noch eine dünne Suppe, weil die Bedeutung der Begriffe verändert worden ist. Auch damit verliert das Evangelium seine rettende Kraft – genau wie ein Rettungsring, dessen Inhalt den Menschen nicht mehr über Wasser halten kann.

Es gehört auch heute noch zu den Aufgaben einer christlichen Leiterschaft, solche Verfälschungen des Evangeliums liebevoll zu entlarven.

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