Das Bild von Jesus – orientiert an Glaubensbedürfnissen der jeweiligen Zeit

Bei der Person des Herrn Jesus war nicht immer alles zu jeder Zeit im Fokus der Gemeinde, was die Schrift offenbart hat. Was jeweils von Jesus wichtig war, richtete sich nicht selten nach dem, was in der jeweiligen Epoche unter Gläubigen für wichtig angesehen wurde. Was Christen über Jesus dachten, das wurde nicht nur in Texten über die Jahrhunderte hinweg ausgedrückt, als Predigt oder Auslegung der Bibel. Gerade in Mosaiken, Skulpturen, in Bildern von Kreuzesdarstellungen bis hin zu romanhaften oder filmischen Darstellungen heutzutage wird deutlich, welche Bedeutung Jesus jeweils für den aktuellen Glauben hatte. Ein paar Beispiele:

  • Bis Ende des 2. Jahrhunderts finden wir im europäischen Bereich – bis auf Spottbilder des Gekreuzigten – keine direkten Jesus-Bilder vor. Ab dem 3. Jahrhundert finden wir bildliche Darstellungen vom guten Hirten, der sich selbst hingibt (als Jesus-Illustration), um die verlorenen Schafe zu retten. Dieses Motiv gilt als ein allgemein anerkannter Ausdruck der Menschenfreundlichkeit des Erlösers (vgl. Joh 10,14.15; Tit 3,4).
  • Später, insbesondere ab dem 4. Jahrhundert, wird Jesus sehr häufig als Lehrer abgebildet, nicht selten in Anlehnung an Lehrunterweisungen, wie sie damals auch unter Philosophen bekannt waren. Das Selbstbewusstsein der Christen nach den Konzilien von Nicäa (325) und Konstantinopel (381), in Jesus Christus einen bedeutenden Menschheitslehrer zu verehren, der außerdem sogar „wahrer Gott und wahrer Mensch“ ist, wurde in solchen Abbildungen betont hervorgehoben.
  • Das byzantinische Kaisertum prägt schließlich ab dem 6. Jahrhundert die Abbildungen von Jesus als dem Herrscher, dem Weltenrichter, dem sog. „Pantokrator“, der das Buch des ewigen Lebens in der Hand hält und der in herrschaftlicher Haltung regiert und die wohlwollende Segensgeste mit zwei Fingern der erhobenen Hand ausübt – Jesus also wie ein kaiserlicher Imperator als beliebtes Motiv jener Zeit.
  • Im Mittelalter des 13. und 14. Jahrhunderts greift die Kunstepoche der Gotik in besonderer Weise Jesus in seiner Menschlichkeit auf, ganz im Kontrast zum Bild vom Imperator und Allbeherrscher der byzantinischen Zeit. Christus in Schmerzen, im Leiden, als körperlich Entstellter (Jes 53) wurde für die damaligen Zeitgenossen zu einem Vorbild, mit dem sie sich in ihren eigenen Leiderfahrungen identifizieren konnten.
  • Die Renaissance im 15. und 16 Jahrhundert dominierte die Darstellungen des damaligen Christus-Bildes, z. B. als Welt-Retter (Salvator mundi, Leonardo da Vinci), als Held oder als Herrscher, und stets optimistisch in Aufbruchsstimmung durch Erinnerungen an die glorreiche Antike. Die Epoche des Barocks (Rembrandt & Co.) liefert demgegenüber eine Fülle an neuartigen Darstellungen biblischer Erzählungen, auch gerade im Hinblick auf die Person Jesu, die ausdrucksstark Gefühle, Stimmungen, Erstaunen und Überraschung, Ergriffenheit beim Betrachter der Gemälde auslösen. Er wird quasi emotional direkt mit in die Szene mit Jesus hineingenommen.
  • Die Kunst des Expressionismus (Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts) stellt Jesus bewusst nicht mehr bibeltextnah oder detailgetreu dar, sondern farblich nicht selten verstörend und durch abstrakte Formveränderungen mit dem Fokus auf ein Detail der Person Jesu oder seines Werkes. Die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts fällt durch zunehmende Abstraktion biblischer Geschichten auf, durch Verfremdung der Person Jesu, auch gerade als ein bewusster Ausdruck gezielter Gesellschaftskritik mittels Provokation, durch Infragestellung menschlicher Konventionen und Traditionen. Gefühle wie Spott und Verehrung, Verzweiflung und Hoffnung finden in solchen Jesusbildern ihren adäquaten Ausdruck. Jesus als Mensch im Leiden unter menschlichen Zuständen der Gegenwart wird dementsprechend oft zu einem beliebten Motiv. Film- und Romankunst orientieren sich nicht selten an diesen Motiven der jeweiligen Kunstepochen in der Art, wie sie Jesus porträtieren.

Wir können in unseren Tagen fragen: Welcher Jesus ist heutzutage „populär“ unter Christen? Jesus als „Guter Hirte“, als menschenfreundlicher Retter, als Lehrer, als triumphierender Weltenherrscher oder als leidender Gottesknecht, als Hoffnungsbringer, als Held oder als davidischer Messias-König, als Unruhestifter mitten in gewohnten Konventionen, als Repräsentant menschlicher Verzweiflung und Hoffnung? Welcher Jesus ist gegenwärtig „en vogue“ unter Gläubigen und Frommen?

Wir haben gesehen, dass auch die christliche Kunst, in welcher Form und Gestaltung auch immer, letztlich sogar in Form der Filmkunst oder der Schriftstellerei, die biblische Ereignisse und die Person Jesu usw. darstellen will, sehr breit aufgestellt ist. Diese „Kunst“ sollte deshalb primär daran gemessen und geprüft werden, ob die Darstellung dem Betrachter einen „falschen Jesus“ zumutet. Eine Verfremdung oder Verzeichnung Jesu allein kann noch kein entscheidendes Kriterium sein, eine künstlerische Abbildung Jesu als „gut oder schlecht“ zu bewerten. Denn Kunst verfremdet ja immer. Sie ist nie faktische Wirklichkeit, will und soll es auch nicht sein.

Wenn über das Künstlerische hinaus eine Ideologie oder Weltanschauung „transportiert“ wird, die mit dem biblischen Jesus oder Evangelium wenig bis nichts mehr zu tun hat, wird es an der Zeit, in Gemeinden und unter Gläubigen diese Art und Weise der Darbietung begründet und mit Erläuterungen zu kritisieren oder als falsch abzulehnen. Allerdings, für „Bilderstürmer“ jeder Art habe ich kein Verständnis. Bleiben wir in dieser Angelegenheit nüchtern und gelassen.

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