Zurück zum Seelsorgedienst in unseren Gemeinden!

Bereits vor mehr als 30 Jahren stolperte ich über einen aufrüttelnden Artikel in der Zeitschrift „idea Spektrum“ von Laurence (Larry) J. Crabb. Er machte damals als Erster auf die zunehmende Tendenz unter evangelikalen Christen aufmerksam, bei seelischen Schwierigkeiten psychologische Fachleute außerhalb der christlichen Gemeinden aufzusuchen und gemeindliche Seelsorge als unzureichend und dilettantisch abzulehnen. Sein Schlagwort damals „Zurück zur Seelsorge in der Gemeinde“ wollte Mut machen, die biblische Gnadengabe des Hirten neu zu entdecken und zu fördern.

Natürlich gibt es Fälle, in denen medizinische Hilfe von Fachärzten in Anspruch genommen werden muss, vor allem in akuten körperlichen und psychischen Gefahren. Doch viel zu wenig wird bis heute gesehen, dass Gott für seine Gemeinde die Gnadengabe des Hirtendienstes vorgesehen hat. Wenn wir erkennen, dass wir in unseren Gemeinden in diesem Bereich starken Mangel haben, sollten wir den Herrn der Gemeinde intensiv bitten, der örtlichen Gemeinde diese Gnadengabe vermehrt zu schenken!

Wie kann dieser Dienst konkret aussehen?

Wenn ich in meine Kind- und Jugendzeit zurückdenke, werde ich an einen alten Bruder erinnert, der von allen Geschwistern liebevoll „der Hirte“ genannt wurde. Und er war es wirklich! Seit seiner Rentnerzeit machte er sich fast jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ein Auto hatte er nicht) auf den Weg, um die Geschwister der Gemeinde zu Hause zu besuchen! Damals war es in der Regel noch möglich, ohne vorherige Telefonabsprache (wer hatte schon ein Telefon?) Besuche zu machen. Er war nicht der „Gemeindepolizist“, der kam, um zu kontrollieren oder wenn es brannte. Er war der von allen geschätzte und geliebte „Hirte“, der sich nach dem inneren und äußeren Wohl der „Schäfchen“ erkundigte und aufrichtig Anteil nahm. Überall wurde er gerne willkommen geheißen. Man setzte sich einfach kurz zusammen, trank einen Tee oder einen Kaffee miteinander, „klönte“ über das Alltägliche, las zusammen ein Bibelwort als Ermutigung und ging nie ohne Gebet auseinander. Dann ging er zum nächsten. Alle freuten sich über sein Kommen. Kam er einmal ungelegen oder stand er vor verschlossener Tür, schob er einen Zettel mit einem kurzen Gruß unter der Tür durch und zog weiter.

Ich vermisse diese Gemeindkultur heute sehr. Wir würden sie vielleicht „niederschwellige Gemeindeseelsorge“ nennen. Aber durch solche Besuche wurden viel tiefergehende Seelsorge erst gar nicht nötig, bzw. manche auftretenden Probleme wurden bereits im Vorfeld beigelegt und ausgeräumt.

Im krassen Gegensatz dazu gab es leider auch einen Bruder, den man hinter vorgehaltener Hand „den Schäferhund“ nannte. Er war bekannt dafür, dass er (zwar gutgemeint) kurz zwischen „Tür und Angel“ (also zwischen Gemeinde- und Autotür) die „Schafe“ der Gemeinde in „die Waden biss“. Will heißen: Hart und direkt wurden Dinge angesprochen, Geschwister lieblos zur Rede gestellt und zu sofortiger Buße aufgefordert. Wenn nicht, würde unweigerlich Gemeindezucht erfolgen! Bei manchen gingen nicht die Herzen auf, sondern die Jalousien runter, und Situationen verhärteten sich. Manches musste „der Hirte“ in langen Gesprächen wieder geradebügeln und für Verständnis und Vergebung werben.

Wie gut, dass die Bibel nur die Gnadengabe des „Hirten“ vorstellt und nicht eine Sparte von Hirtenhunden. Die sind im Wort Gottes unbekannt!

Vielleicht sagst du, du habest nicht die Gabe des Hirten. Von Natur aus sicherlich nicht. Aber ist es nicht erstaunlich, dass unser Herr gerade den impulsiven und cholerisch veranlagten Petrus zu einem Hirten seiner Schafe beruft (Joh. 21) und ihn so verändert, dass er in seinen zwei Briefen eindeutig als ein solcher erkannt werden kann? Er hat sich seinen Herrn zum Vorbild genommen, der ihn in seinem Herzen und Charakter verändert hat.

Seelsorge – Aufgabe nur für Männer?

Dass Seelsorge in der Gemeinde nicht nur eine Aufgabe für die Brüder ist, zeigt die Aufforderung im Titusbrief (Tit. 2,3-4), dass die älteren Schwestern Lehrerinnen zum Guten sein sollen, indem sie sich um jüngere Schwestern in der Gemeinde kümmern.

Ein leuchtendes Beispiel ist mir vor Augen: Eine nun bald 90-jährige Schwester besucht (übrigens auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln) in langjähriger Treue und Ausdauer Geschwister, die alt und krank sind. Sie bringt ihnen nicht nur die Vorträge der sonntäglichen Predigten auf Kassette bzw. CD, sondern liest ihnen ein Bibelwort und betet mit ihnen bzw. für sie. Ihr Einsatz und ihre Ausdauer sind vorbildlich. Mit etwa 80 Jahren hat sie noch einen Computerkurs gemacht und sich einen Laptop, einen Drucker und einen Scanner angeschafft, um eigene Traktate und Glückwunschbriefe für ihre Besuche zu schreiben. Auch für die Ungläubigen hat sie stets ein brennendes Herz. Ich muss sie immer wieder mit Verteilheften und -büchern versorgen: „Eberhard, ich brauche wieder Futter für’s Verteilen!“, sagt sie dann. Jeden Donnerstagvormittag kommt sie mit zum Seniorenfrühstück in unser Stadtteilcafé, um sich zusammen mit einer weiteren 87-Jährigen aus der Gemeinde einfühlsam mit den übrigen Senioren zu unterhalten und aus ihrem Leben zeugnishaft zu berichten – um die Botschaft vom Herrn Jesus weiterzugeben.

Weitere seelsorgerliche Möglichkeiten

Weitere gute Gelegenheiten für unkomplizierte und natürliche Seelsorge schafft sicherlich die gemeindliche Hauskreisarbeit. Dort ergibt es sich häufig durch den Austausch persönlicher Gebetsanliegen, dass persönliche Anliegen und Sorgen im Nachgespräch auf dem Nachhauseweg unter vier Augen besprochen werden. Man kann dann auch gerne zu einer zwanglosen Tasse Tee bei sich einladen, um in Ruhe und Stille miteinander seelsorgerlich ins Gespräch und ins Gebet zu kommen. Nutzen wir vermehrt solche Möglichkeiten!

Hilfreiche Bücher zum Thema:

  • Bingham, Derik: Ermutigung (CV Dillenburg)
  • Crabb, Laurence J.: Die Last des Anderen (Brunnen-Verlag Gießen)
  • Lutzer, Erwin: 70 x 7 (CV Dillenburg)
  • Antholzer, Roland: Trauern & Trösten (CLV Bielefeld)
  • Fleischhammel, Detlev: Den Bruder, die Schwester gewinnen (CV Dillenburg)
  • Platte, Eberhard: Wie Jesus Menschen begegnet (Eigenverlag E. Platte Wuppertal)
  • Platte, Eberhard: Vergebung ist mehr (Eigenverlag E. Platte Wuppertal)
  • Platte, Eberhard: Einführung in die biblische Seelsorge (Eigenverlag E. Platte Wuppertal)

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