Zeitlos dynamisch

Potenzial und Probleme digitaler Technik für eine Zeit „nach“ der Pandemie

Vor einigen Tagen bin ich mit mei nem dreijährigen Sohn auf einen Spielplatz gegangen. Er zeigte auf ein Schild und sagte zu mir: „Papa, hier ist Maskenpflicht.“ Die Corona-Pandemie hat den kindlichen Wortschatz erweitert.
Auch der gemeindliche Wortschatz wurde erweitert. „Livestream“ und „Videokonferenzen“ gehören zur neuen Normalität.

Ich bin unglaublich dankbar, dass ich die Pandemie in einer Zeit erlebe, in der wir auf technische Möglichkeiten zurückgreifen können. Obwohl Gottesdienste nicht mehr in der gewohnten Art stattfinden konnten, konnten wir so „wenigstens“ vom Wohnzimmer aus am Gottesdienst teilnehmen. Mehr als das: Technische Entwicklungen, die verschlafen oder auch blockiert worden waren, wurden endlich in Gemeinden nachvollzogen.

Trotzdem gibt es auch – oft ältere – Geschwister, für die YouTube nicht alltäglich ist und die dem Digitalen eher skeptisch gegenüberstehen; die befürchten, dass geistliche Tiefe durch Technik ersetzt wird und stückweise verloren geht; die sich danach sehnen, einfach wieder „wie früher“ auf den Gemeindestühlen zu sitzen, statt die anderen Gottesdienstbesucher nur vom Bauchnabel aufwärts auf Zoom zu sehen.

Wir kommen jetzt (hoffentlich) langsam an den Punkt, dass Corona immer mehr aus unserem Alltag verschwindet und bald wieder die Möglichkeit besteht, „alles wie früher zu machen“. Auf diese Situation sollten wir uns vorbereiten und uns fragen: Was sind eigentlich die Probleme, in die wir uns hineinmanövriert haben, indem Digitales in der Pandemie so sehr an Stellenwert gewonnen hat? Aber auch: Worin liegt das Potenzial von Technik, das wir unbedingt auch „nach“ der Pandemie nutzen sollten?

1. Technik ist kein Allheilmittel

Wichtig ist: Technik betrifft die Form, nicht den Inhalt unseres Gottesdienstes. Nur weil ein YouTube-Livestream im Wohnzimmer ankommt, kommt nicht automatisch guter Inhalt an. Wichtiger als das stabile Videosignal ist es, die stabile Botschaft der Bibel zu transportieren. Unsere erste Sorge muss sein, dass der Inhalt der Verkündigung mit Gottes Wort übereinstimmt – egal, ob vor, während oder nach Corona.

2. Technik ist nicht unser Feind

Die Mittel und Wege, mit denen wir miteinander reden und das Evangelium kommunizieren können, sind vielfältiger geworden. Die Einführung des Buchdrucks vor über 500 Jahren war eine gewaltige Medienrevolution. Die digitale Revolution schlägt noch höhere Wellen. Das bringt neue Chancen und neue Gefahren, denen wir uns stellen müssen. Persönliche Treffen dürfen hierbei nicht durch digitale Angebote ersetzt werden. Aber sie können um technische Angebote ergänzt werden. Kranke konnten während der Pandemie online an Gottesdiensten teilnehmen. Ebenso Missionare ohne Heimatgemeinde. Corona hat hier Blockaden abgebaut. Lasst uns sie nicht wieder aufbauen!

3. Technik als Chance im Generationenkonflikt

Mit der Pandemie sind auch neue Akteure wichtig geworden. Jugendliche und junge Erwachsene, die auf YouTube und Zoom quasi zu Hause sind, konnten sich auf einmal verstärkt in der Gemeinde einbringen. Ich bin erstaunt, wie schnell an vielen Orten der technische Wandel vollzogen wurde – teilweise in erstaunlicher Qualität. Jugendliche, die bis dahin keine Aufgabe in der Gemeinde hatten, konnten auf einmal ihre Fähigkeiten und Begabungen einbringen, wurden gesehen, wertgeschätzt und haben sich auf einmal als Teil der Gemeinde erlebt. Egal, wie wir nach der Pandemie weitermachen: Wir sollten uns auf jeden Fall fragen, wie wir der jüngeren Generation zeigen können, dass sie ein wichtiger Teil unserer Gemeinde ist.

4. Technik als Motor für Evangelisation

Um Menschen heute zu erreichen, ist es gut, die technischen Möglichkeiten unserer Zeit zu nutzen. Aber auch wenn sich die Technik verändert – die Botschaft bleibt. Wenn „die Jungen“ die veränderte Technik einbringen und „die Alten“ darauf achten, dass der Kern der Botschaft bleibt, dann können wir als Gemeinde zeitlos dynamisch leben. Natürlich ist das stark vereinfacht. Ich kenne viele junge Leute, denen es ein großes Anliegen ist, Gottes Wort möglichst gut zu verstehen und umzusetzen. Und ich kenne viele ältere Geschwister, die auch in den Formen flexibel bleiben wollen. Vielleicht ist es in dieser Phase des Umbruchs an der Zeit, sich gemeinsam mit Jung und Alt zusammenzusetzen und darüber zu reden, was der bleibende Kern der biblischen Botschaft ist und welche Formen sich im Laufe der Zeit herausgebildet und bewährt haben.

Wir alle staunen jedenfalls, wie Menschen online mit Gemeinde und Gott in Kontakt kommen, die sonst nie einen Gemeinderaum betreten hätten. Wir sollten überlegen, wie wir Methode und Inhalt so kombinieren können, dass Menschen heute noch zu Jesus finden.

5. Technik ist keine Ausrede

Wir alle sind Teil des Leibes Christi. Wir alle sind dazu aufgefordert, uns mit unseren Gaben aktiv in der Gemeinde einzubringen. Wir alle sind dazu aufgefordert, uns von Gott verändern zu lassen und aktiv zu bleiben. Die neue Livestream-Kultur kann schnell dazu führen, dass wir zu passiven Zuschauern werden. Dass wir Gemeinde gucken, statt Gemeinde zu leben. Das passiert bei technikaffinen Jugendlichen, die sich von anderen Inhalten auf ihrem Second Screen ablenken lassen, aber auch bei skeptischen Gemeindemitgliedern, die sich nicht auf Neues einlassen und alle digitalen Inhalte – seien sie noch so gut – von Anfang an ablehnen. Aber ob digital oder analog, mit Technik oder im Team: Es ist unsere Verantwortung, wie wir mit dem umgehen, was uns in der Gemeinde vermittelt wird. Es ist unsere Verantwortung, aktiv in der Gemeinde mitzuarbeiten.

Und jetzt?

Schnell wird klar: Technik an sich ist nicht gut oder schlecht. Sie ist eine neue Methode mit Problemen und Potenzial. Wir können Technik nutzen, um gute Werte zu leben: Partizipation, Evangelisation, Zusammenhalt zwischen den Generationen. Deswegen sollten wir uns jetzt und nach der Pandemie und auch in zehn Jahren die Frage stellen: Was wollen wir erreichen? Kann Technik uns helfen, unser Ziel zu erreichen? Wann trägt sie dazu bei und wann behindert sie uns? Wenn wir das machen, dann profitieren wir alle: Alt und Jung, Technikfreak und Technikmuffel.

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