„Wir werden einander viel verzeihen müssen… !“

Wie können wir nach der Pandemie wieder zusammenfinden?

Es waren ungewohnte Töne, die im letzten Frühjahr auf der Bundespressekonferenz fielen: Mit Blick auf die Pandemie sagte Gesundheitsminister Jens Spahn: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Man habe noch nie „angesichts der vielen Unwägbarkeiten, die da sind, so tiefgehende Entscheidungen treffen müssen.“¹

Man könnte fast meinen, das waren prophetische Worte. Auch in unseren Gemeinden hat uns vieles durcheinandergebracht: Innerhalb kürzester Zeit mussten viele Entscheidungen getroffen werden, und tiefgreifende Veränderungen in unserem Gemeindeleben wurden durchgeführt. Es gab unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der Gefahr und der Maßnahmen, und die fehlende Gemeinschaft und unterschiedliche inhaltliche Entwicklungen führten dazu, dass die Distanz – innerlich und äußerlich – in unseren Gemeinden oft größer wurde.

„Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ – Eigentlich sollte Vergebung doch eine Kernkompetenz von christlicher Gemeinde sein! Wir alle leben aus der Vergebung und wissen von der drastischen „Schalksknecht-Geschichte“ (Mt 18,21-35), dass wir Vergebung weitergeben sollen. Doch leider ist es vom Kopfwissen zum demütigen Miteinander im Geschwisterkreis ein weiter Weg. Wie finden wir nach Corona zwischen den Scherben und Verletzungen den Weg wieder zueinander, zurück zur „neuen Normalität“?

1. Zuhören und reden

Ist es nicht interessant, dass in dem neutestamentlichen „Brief der Einheit“, dem Epheserbrief, so viel über das richtige Reden gesprochen wird? Paulus weiß: Geistliche Einheit entwickelt sich da, wo wir es lernen, auf eine weise Art miteinander zu kommunizieren. „Lasst uns aber die Wahrheit reden in Liebe und in allem hinwachsen zu ihm, der das Haupt ist, Christus“ (Epheser 4,15). Die soziale Distanz hat uns allen einen Nachholbedarf an guten Gesprächen gebracht: Gerade in Zeiten, in denen wir Ermutigung und Austausch brauchten, blieb vieles leider ungesagt.

2. Ertragen

„Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn einer Klage gegen den anderen hat; wie auch der Herr euch vergeben hat, so auch ihr!“ (Kol 3,13)

Christliche Einheit bedeutet nicht, dass wir in allen Detailfragen und Einschätzungen die gleiche Meinung haben. Christliche Gemeinschaft beruht darauf, dass wir den gleichen Herrn haben. Unser Blick auf Jesus, unsere gemeinsame Blickrichtung, vereinigt uns. Und an den Stellen, an denen wir unterschiedlich über das Impfen oder den Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen denken (und wo das Evangelium nicht betroffen ist!), dürfen und müssen wir die Meinung des anderen ertragen. Das lateinische Wort für „ertragen“ bedeutet übrigens „tolerare“: Toleranz bedeutet nicht, keine Meinung zu haben. Ich darf starke Überzeugungen haben, aber ich kann es ertragen, dass der Bruder in diesen Bereichen eine andere Meinung hat, und ich möchte ihn höher achten als mich selbst.

3. Nachgehen

Das Nachgehen gehört zur Hirten-Kompetenz: Unser Herr Jesus ist das beste Vorbild des Guten Hirten. Im Buch Hesekiel werden die Hirten dafür angeklagt, dass sie den „Versprengten“ nicht nachgehen. Nach Corona haben wir manche Versprengte in unserer Gemeinde: Wer geht ihnen nach? Wie können wir sie einladen, wieder zurückzufinden in unsere Gemeinschaft? Diese Schritte können mühsam sein und sind nicht immer von Erfolg gekrönt. Hier braucht der Hirte in Gottes Herde oft einen langen Atem! Wir wollen uns gegenseitig ermutigen, den Geschwistern, die am Rand sind, nachzugehen! Gerade ältere Geschwister ohne Familienanschluss haben die Corona-Zeit als besonders belastend empfunden. Oder die Gruppe der Singles, die z. B. beruflich in eine neue Stadt gezogen sind. Sie fanden nur schwer Anschluss an neue Freundeskreise oder neue Gemeinden. Haben wir diese Gruppen im Blick? Wie ging es den Geschwistern ohne eine gesunde Kleingruppe? Für manche bestand geistliches Leben leider nur aus einem „Online-Sofa-Gottesdienst“ pro Woche. Nun müssen wir ihnen helfen, wieder vom Sofa aufzustehen.

4. Entschuldigen

Angesichts von Hygienemaßnahmen, Anmeldeformularen, Corona-Verordnungen usw. ist auch in manchen Gemeindeleitungen einiges an geistlicher Arbeit liegen geblieben. Wie oft waren wir damit beschäftigt, „die Tische zu bedienen“ (Apg 6,2), d. h. Gemeinde zu organisieren und am Leben zu halten? Besuche, Telefonate oder neue Formen von Gemeinschaft kamen manchmal zu kurz. Schafft es die Leitung, sich deswegen vor der Gemeinde zu entschuldigen?

Zwei Dinge trösten mich:

Ich glaube an die Kraft der Vergebung und daran, dass es nach Versagen weitergehen kann. Gott ist der Gott der zweiten Chance!

Und Gott wird seine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Das gibt mir Hoffnung und Mut, auch angesichts des Sturmes, den die Corona-Krise in unserer Gemeinde verursacht hat

 

„Christliche Gemeinschaft beruht darauf, dass wir den gleichen Herrn haben. Unser Blick auf Jesus, unsere gemeinsame Blickrichtung, vereinigt uns.“
(Daniel Platte)

 

1 https://www.welt.de/vermischtes/article207443999/Das-Update-zur-Corona-Krise-Wir-werden-viel-verzeihen-muessen-sagt-Jens-Spahn.html

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