Wie legt man die Gleichnisse richtig aus?

Ist das nicht eine einfache Frage? Doch die Dinge sind so komplex, dass es keine feste Arbeitsanweisung geben kann. Beginnen wir lieber mit den Begriffsbestimmungen. Was heißt 1. auslegen, 2. Gleichnisse und 3. richtig?

1. Das Auslegen, die Exegese

Nicht jeder Text muss ausgelegt werden. Einen Privatbrief wird man kaum erklären müssen, weil man ihn (hoffentlich) sofort versteht. Ausgelegt wird vor allem, was erläuterungsbedürftig und dessen Redeabsicht nicht von vornherein offenbar ist. Das gilt besonders für Gesetze und auch für die Bibel. Wenn es um literarische oder sonstige künstlerische Werke geht, nennen wir das Interpretation, bei der Bibel Exegese.

In besonderem Maß ist Auslegung bei einer Redeweise notwendig, die verhüllt ist, d. h. die in einer anderen als der zu erwartenden Form gefasst wurde. Jede bildliche Rede z. B. muss so aufgelöst werden, zumindest in Gedanken. Umso mehr gilt das für mehr oder weniger lange Texte, die bildhaft einen Gedankenzusammenhang vermitteln wollen, wie z. B. die Gleichnisse des Neuen Testaments. Sie sind schon von vornherein verhüllende Darstellungen, weil sie als Geheimnisse angelegt sind (vgl. Mt 13,11).

2. Was sind Gleichnisse?

2.1. Verschiedene Formen

Wir können uns hier auf das NT beschränken. Es liegt nahe, von dem Begriff auszugehen, den die Autoren, die Evangelisten, selbst benutzen. Sie sprechen von „Gleichnissen“. Es gibt sehr verschiedene Arten davon. Das können einfache Sätze sein wie in Lukas 4,23, wo der Herr Jesus sagt: „Ihr werdet dieses Sprichwort zu mir sagen.“ In der Anmerkung heißt es: w(örtlich): Gleichnis. Also ist der Satz „Arzt, heile dich selbst!“ ein Gleichnis. Es soll Parallelen aufzeigen, die zwischen einem Arzt und dem Herrn Jesus bestehen. Das ist der Vergleichspunkt: Beide Personen nehmen sich als Aufgabe vor zu heilen. Darin hatte der Herr großartigen Erfolg. Jeder Arzt wird auch seinen eigenen Körper beobachten wie den seiner Patienten. Er hat den großen Vorteil zu wissen, wie man Krankheiten behandelt, auch an sich selbst. Aber der Herr Jesus wird sich selbst nicht heilen können. Vielmehr wird er sterben. Die Juden verhöhnen ihn: „Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten“ (Mk 15,31). Dieser Satz ist zwar lästerlich, d. h. ironisch, gesagt, drückt aber eine tiefe Wahrheit aus: Christus stirbt für Gottlose (Röm 5,6), und das freiwillig, eben nicht wegen seiner eigenen Unfähigkeit. Er gibt sein Leben für seine Feinde (Röm 5,8). Diese können nun vom ewigen Tod gerettet werden (Joh 5,24), wenn sie das Werk des Herrn im Glauben annehmen (Eph 2,8).

Das Beispiel zeigt, dass ein Gleichnis gerade wegen der bildhaften Form einen tieferen Gedanken ausdrückt, der nicht einfach in einem Satz zusammengefasst werden kann.

Der Herr Jesus sprach vieles in Gleichnissen (Mk 4,2). Sie hatten einen doppelten Zweck. Einerseits verhüllten sie Wahrheiten, die dem Unglauben verborgen waren (Mk 4,11f.), andererseits erfuhren die Glaubenden, die Jünger, tiefere Einblicke in göttliche Wahrheiten (vgl. Mk 4,11), vor allem, wenn der Herr sie ihnen erklärte (Mk 4,13).

2.2. Die Gleichnisse vom Reich Gottes

Die eigentliche Schwierigkeit der Gleichnisse findet sich dort, wo das Reich Gottes, das Reich der Himmel, in bildhafter Form vorgestellt wird. Das liegt daran, dass man erst den Begriff des Reiches klären muss. Der jedoch hat zu hitzigen Kontroversen geführt. Rom sagt, das Reich sei die katholische Kirche. Protestanten sagen, es sei die gegenwärtige Welt oder die Gesellschaft, die so verbessert werden muss, dass sie zu paradiesischen Zuständen führt. Beides lässt sich mit der Bibel nicht belegen.

Im Prinzip ist das Reich Gottes dort, wo Gott regiert, und das ist überall und zu aller Zeit. Dann hat Gott dem Volk Israel ein Reich verheißen, das in der Zukunft liegt und nicht nur Juden betreffen wird. Wir nennen es das Millennium. Darauf warten die frommen Juden seit Jahrtausenden. Ihren König, den Messias Jesus, haben sie abgelehnt, deswegen konnte damals das Reich nicht beginnen. Das Reich (der Weinberg als Bild des Reiches) wurde daher anderen gegeben (Mt 21,41). Damit entstand ein besonderes Reich, das der Herrschaft Christi, welches zu Pfingsten begründet wurde. Es begann das Zeitalter der Gemeinde. Davon handelt das berühmte Kapitel Matthäus 13. Deswegen konnte der Apostel Paulus völlig parallel vom Evangelium der Gnade Gottes (Apg 20,24) und gleichzeitig von dem Predigen des Reiches reden (Apg 20,25). Er bezeugte das Reich Gottes (Apg 28,23) und gleichzeitig die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen (Apg 28,31). Das ist zusammengefasst das Heil Gottes (Apg 28,28). Nur der kann dieses Heil Gottes erfassen, der von Neuem, aus Wasser und Geist geboren ist (Joh 3,3.5).

3. Was heißt „richtig“ auslegen?

In der modernen Literaturkritik geht man häufig davon aus, dass alles Interpretieren unterbleiben kann. Man möge einen Text nur so auf sich wirken lassen, wie man ihn empfindet. Da hat dann jeder seine eigene Auffassung von dem, was richtig ist. In der katholischen Kirche bleibt demgegenüber die Exegese der Bibel abhängig vom Lehramt der Kirche. Das ist das übergeordnete Prinzip, das bestimmt, was zu glauben ist.

Allerdings wird der mündige Christ anders an den Text herangehen. Es gilt das Prinzip, dass der Geist Gottes in die ganze Wahrheit einführt (Joh 16,13). Er wird uns Klarheit schenken. Das gilt nicht nur für den Text selbst – für die immanente Interpretation –, sondern auch für den Zusammenhang im Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift.

Das bedeutet allerdings nicht, dass zum Schluss keine Fragen mehr offen sind

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