Wie geht man als Christ mit dem Leid anderer um?

Während meiner Tätigkeit bei den Christlichen Seniorenhäusern in Lützeln habe ich bereits viele hundert Sterbefälle miterleben und begleiten dürfen. Die tägliche Konfrontation mit Krankheit, Schmerz, Trauer und Tod ist nahezu unvermeidbar. Aber auch im Familien- und Gemeindeleben bleibt manches Leid nicht aus, sodass man oft plötzlich gefordert oder gar selbst betroffen ist.

Rückblickend gab es unzählige Versuche meinerseits, den Trauernden und Leidenden in ihrer Not zu begegnen und ihnen Trost sowie Zuversicht zuzusprechen. Doch trotz aller Erfahrung hat sich bis heute kein klares Schema herauskristallisiert, das der gewaltigen Not im persönlichen Leid gerecht werden könnte. Von Routine keine Spur! Immer wieder entdecke ich – gerade auch in dem Miteinander der Geschwister in Gemeinden – eine offensichtliche Ohnmacht gegenüber dem Leid meines Nächsten: Schnell werden gutgemeinte Worte zu Phrasen oder eine nette Geste zur gekünstelten Attitüde. Unbedachte Worte verursachen Verletzungen anstatt zu trösten. Manche haben Sorge, etwas falsch zu machen, und gehen lieber der Konfrontation aus dem Weg. Der Leidende bleibt in seinem Kummer allein.

Dass wir Menschen als Tröster nicht selten überfordert sind, scheint gewisse Tradition zu haben: Schon im ältesten Buch der Bibel kritisiert Hiob seine Freunde: „Ich habe so etwas nun viel gehört. Mühsame Tröster seid ihr alle! Haben die windige Worte nun ein Ende?“ (Hiob 16,2f.). Und im Neuen Testament wird es noch dramatischer: Als unser Herr Jesus am Karfreitag ans Kreuz genagelt wurde, schaute er sich vergeblich nach einem Tröster um. Wie in Psalm 69,21 prophezeit, sollte er keinen finden. Alle Jünger versagten kläglich, indem sie flohen und ihn alleinließen. Von Mensch und Gott verlassen musste er einsam und allein der Dunkelheit des Todes entgegentreten.

Doch was hätte die Not des Herrn oder das Leid Hiobs erträglicher machen können? Welches Verhalten wünscht sich der Bedrückte von Freunden und Geschwistern? – Als Gott mir und meiner Familie vor ein paar Jahren etwas aufbürdete, was schwer zu begreifen und zu bewältigen war, erlebte ich eine Situation, die mir Trost spendete. Ein Freund blickte mich an, nahm mich in den Arm und ließ mich für einen längeren Moment nicht los. Obwohl er kein Wort von sich gab, sprach er dennoch laut zu meinem Herzen. Natürlich gibt es viele Bibelverse, die passend gewesen wären, und etliche Hinweise, die mir hätten helfen können. Doch ich brauchte in diesem Moment keinen Ratschlag, sondern einfach nur jemanden, der sich mit meiner Not identifiziert. Jemanden, der Anteil nimmt und nicht austeilt. In Römer 12,15 heißt es treffend: „… weint mit den Weinenden!“ Und selbst König David wechselte auf Trauerkleidung, wenn andere krank waren (Psalm 35,13).

In diesem Punkt begannen die Freunde Hiobs sehr vorbildlich. In Kapitel 2,13 heißt es über Elifas, Bildad und Zofar: „Und sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte lang. Und keiner redete ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ Sie nahmen Anteil am Leid Hiobs und versuchten sich mit seiner Situation zu identifizieren. Sie setzten sich zu ihm in den Dreck und weinten mit lauter Stimme (V. 12). Sie machten seine Not zu ihrer Not und sein Leid zu geteiltem Leid.

Doch als Kinder des Vaters „der Erbarmungen und Gott allen Trostes“ dürfen wir über diesen ersten Schritt hinausgehen. In Sprüche 15,23 heißt es: „… ein Wort zu seiner Zeit, wie gut!“ Im richtigen Moment – was manchmal etwas Geduld voraussetzt – erfreut das passende Wort die bekümmerten Herzen (Sprüche 12,25). Im Gebet dürfen wir Gott um richtige Gedanken oder einen hilfreichen Bibelvers bitten, den wir dann in angemessener Weise weitergeben dürfen. Es bedeutet, sich im Vorfeld über meine Geschwister Gedanken zu machen, um mit Gottes Hilfe – unter Gebet – für die nächste Begegnung gerüstet zu sein.

Die eigene Unzulänglichkeit des Tröstens darf bei alldem nicht als Defizit, sondern als Chance betrachtet werden. Nur Gott kann letztlich wahren Trost und Frieden spenden, weshalb es bei alldem nicht darum gehen darf, selbst durch kluges Verhalten und passende Worte einen Ausgleich herbeizuführen. Stattdessen möchte der Tröster den Trauernden zu Gott führen. Nur in der Gegenwart Gottes findet der Leidende Annahme, Ruhe und Trost. In Jeremia 31,13 sagt Gott: „Und ich will ihre Trauer in Freude verwandeln und will sie trösten und erfreuen in ihrem Kummer.“ Das Empfinden von Freude im Kummer scheint menschlich zwar kaum nachvollziehbar, ist aber bei Gott dennoch möglich.

Wer in seinem Kummer einen Freund hat, der sich mit dem Leid identifiziert und durch ein bedachtes Wort (zur richtigen Zeit) den Blick demütig auf den Herrn Jesus lenkt – weil er wahren Trost ausschließlich von Gott erwartet –, hat wahrhaftig einen Bruder, „der für die Not geboren wurde“ (Sprüche 17,17).

„Und ich will ihre Trauer in Freude verwandeln und will sie trösten und erfreuen in ihrem Kummer.“
(Jeremia 31,13)

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