Was kommt nach der Versöhnung?

Das Miteinander Frieden stiftend gestalten

Es ist für alle Beteiligten eine große Freude, wenn Vergebung und Versöhnung stattgefunden haben und der Friede wiederhergestellt ist. Aber wie geht es nun weiter? Wie verhält man sich richtig, damit alte Konflikte nicht wieder aufbrechen und erneut Streit entsteht?

Die Komplexität eines Konfliktes und der Prozess der Versöhnung bestimmen den weiteren Weg

Wenn Versöhnung erfolgt ist, so verknüpft man das meist mit einem Zeitpunkt, an dem Unstimmigkeiten im Miteinander geklärt und vergeben wurden. Die Realität lehrt jedoch, dass sich die Versöhnung über einen längeren Prozess bewähren muss. Allzu schnell brechen scheinbar geklärte und vergebene Dinge wieder auf, und nicht selten wird die Situation schlimmer als vorher. Gerade wenn Konflikte lange andauern, ist die eigentliche (häufig banale) Ursache aufgrund der getriebenen „Blüten“ oft kaum noch feststellbar und im Bewusstsein.

Wie ging der Versöhnungsprozess vonstatten? Konnten die Ursachen im Rahmen der Versöhnung geklärt, und konnte Vergebung ausgesprochen werden? Oder hat Versöhnung stattgefunden, ohne dass die eigentlichen Ursachen in ihrer Tiefe geklärt wurden, da man einfach nur wieder „Frieden“ haben wollte?

Vorsicht! Wir sollten Letzteres nicht vorschnell als nur scheinbare Versöhnung abstempeln! Auch diese Form kann durchaus ihre Berechtigung haben – gerade wenn eine Situation komplex ist oder Ursachen lange zurückliegen. Vielleicht stellt dies am Ende sogar den Königsweg der Versöhnung dar. Denn ist es nicht so, dass Gott in Jesus Christus die Versöhnung gewirkt hat, auch wenn wir damit (noch) nichts anfangen konnten? Und sind uns bei unserer Bekehrung wirklich die ganze Tragweite, die Komplexität des „Konfliktes“ und die Dimension der Versöhnung bewusst gewesen? Ich denke: zumeist eher nein! Wir haben die Versöhnung durch den Glauben empfangen, aber oft erst Stück um Stück im weiteren Leben danach begriffen. Die tiefe Gewissheit der Versöhnung stellt sich nicht selten ebenfalls erst in der gelebten Gottesbeziehung ein. Nicht anders ist es auch im Zwischenmenschlichen.

Der Weg danach wird also bestimmt von dem, was davor geschah!

Jakob und Esau: Bruderzwist und das Leben im Nebeneinander

Das ist ein Bruderkonflikt, der es in sich hat und in dem Schlimmeres nur durch die Flucht Jakobs und eine Zeit der Distanz vermieden werden konnte. Die Zeit in Haran sollte für Jakob eine Zeit der Begegnung mit sich selbst werden. Sein Schwiegervater Laban wurde für ihn der Spiegel, in dem er seine eigene Verschlagenheit erkennen musste. Erst danach war er bereit und fähig, der Vergangenheit neu zu begegnen. Der Weg zurück in die Heimat ging nur über die erneute Begegnung mit seinem Bruder Esau. Jakob bekam bei diesem Gedanken Angst, und er tat das einzig Richtige: Er wandte sich an Gott (1Mo 32). Aber Jakob bereitete sich auch innerlich und äußerlich auf diese Begegnung vor. Er sandte seinem Bruder Signale der Reue entgegen. Interessant ist, dass in der Begegnung der beiden Brüder in 1. Mose 33 keine Aufarbeitung der Vergangenheit und der Ursachen des Bruderstreites erfolgte – zumindest wird es nicht berichtet. Und doch geschah Versöhnung. Eine Beugung vor Gott, die Bereitschaft zur persönlichen Begegnung und die Zeichen der Reue machten dies möglich.

Ebenso interessant ist die Geschichte danach! Beide Brüder trennten sich wieder. Der Bibeltext lässt zwischen den Zeilen ein gewisses Maß an Misstrauen, das weiterhin zwischen den Brüdern bestand, erahnen. Dies machte aber nicht die geschehene Versöhnung überflüssig. Bei der Unterschiedlichkeit der Brüder sowie ihrer Lebensführungen scheint dies der richtige Weg für ein weiteres Leben in der Versöhnung gewesen zu sein. Ein auf Dauer friedvolles Nebeneinander war hier der gute Weg nach der Versöhnung. Damit traf ein, worum Jakob bei seiner Flucht Gott indirekt gebeten hatte: „Wenn … ich in Frieden zurückkehre zum Haus meines Vaters, dann soll der HERR mein Gott sein“ (1Mo 28,20.21).

Abram und Lot: Der strategisch- sachliche Lösungsweg

Für Abrams und Lots Herden war einfach zu wenig Raum und Nahrung da. „Das Land ertrug es nicht, dass sie zusammenwohnten“ (1Mo 13,6). Angesichts dieses offensichtlichen Problems half auch aller aufkommender Streit nicht weiter. Stattdessen entschloss sich Abram, das Problem nüchtern und sachlich zur Sprache zu bringen und gleichzeitig zu signalisieren, sich selbst und die eigenen Interessen zurückzunehmen. Die Lösung des Problems beinhaltete die Versöhnung. Das weitere friedvolle Miteinander gestaltete sich daraufhin in einem sachlich einfachen und klar geordneten Nebeneinander.

Oft ist es hilfreich, einfache und organisatorisch ordnende Maßnahmen zu treffen, um Frieden zu wirken und vor allem auch zu erhalten. „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1Kor 14,33).

Paulus und die Philipper: Altes hinter sich lassen und gemeinsam Neues gestalten

„Wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen“ (Ps 133,1). „So erfüllt meine Freude, dass ihr die dieselbe Gesinnung und dieselbe Liebe habt, einmütig, eines Sinnes seid“ (Phil 2,2). Wer wünscht sich nicht diesen Zustand im Miteinander?

Aber auf der anderen Seite zeigt uns Gott in seinem Wort auch, wie realistisch er uns Menschen in unserer Beziehungsfähigkeit einschätzt: „Mache deinen Fuß selten im Hause deines Nächsten, damit …“, rät uns die göttliche Weisheit in Sprüche 25,17.

Es gibt Beziehungen und Umstände, in denen man sich nicht einfach mal für eine Zeit aus dem Weg gehen kann. Wir sind als Eheleute und Familien eng verbunden, in der Gemeinde ist die Gemeinschaft der Geschwister eine zentrale Säule, im Berufsleben sind wir im häufigen und engen Kontakt mit anderen Menschen. Was ist, wenn es da geknirscht hat?

Philipper 2,2 setzt einen Grund voraus, warum die dort genannte Aufforderung anscheinend nötig war. Auffällig ist aber auch, dass Paulus das Thema und ein eventuell damit verbundenes Problem bei den Philippern überhaupt nicht weiter thematisiert und aufarbeitet. Mit der Aufforderung, „dieselbe Gesinnung und dieselbe Liebe zu haben, einmütig und eines Sinnes“ zu sein, stellt sich für die Empfänger natürlich die Frage: „Welchen Sinn oder welche Gesinnung sollen wir denn überhaupt haben?“ Der Ausdruck „dieselbe“ wird ja an dieser Stelle nicht weiter definiert! Dafür sind natürlich die weiteren Aussagen der Heiligen Schrift heranzuziehen. Ich möchte es einmal ebenso schlicht halten wie der Apostel: Indem er den Philippern diesen Vers schreibt, wirft er einen „Ball in den Ring“, der die Philipper zur gemeinsamen Beschäftigung mit diesem Thema herausfordert. Mit den nachfolgenden Versen gibt er ihnen dazu lediglich noch einen ersten Startimpuls mit auf den Weg.

Nebenbei bemerkt: Paulus behandelt das Thema dieses „Gemeindeproblems“ nicht in unendlichen Einzelgesprächen, die bei Konflikten gegenseitiges Misstrauen und die Situation meist nur weiter verschärfen! Das gilt auch für die Zeit nach erfolgter Versöhnung! Hier sind Transparenz und Offenheit meist der bessere Weg.

Was heißt das? Das Alte muss nicht zwingend (sofort) aufgearbeitet werden! Finde ein positives Thema, mit dem die Betroffenen sich grundsätzlich gerne identifizieren, und schaffe einen Rahmen, in dem sie sich konstruktiv und nach vorne gerichtet mit diesem Thema gemeinsam auseinandersetzen können! Dies gilt nicht nur im Rahmen einer Begleitung durch eine außenstehende Person (Mediator), sondern auch bei einer internen Lösung der Angelegenheit. Das eigentliche Problem und dessen vermeintliche Ursachen verlieren sich interessanter Weise nicht selten dabei.

Durch ein solches Vorgehen wird der Boden für Versöhnung bereitet oder nach erfolgter Versöhnung kann so ein guter und nachhaltiger Neustart und Segen in Beziehungen erlebt werden. „Wie der Tau des Hermon, der herabfließt auf die Berge Zions. Denn dorthin (wo Brüder einträchtig beieinander wohnen) hat der HERR den Segen befohlen“ (Ps 133,3).

Menschwerdung des Herrn – oder: Vom Warten auf den richtigen Zeitpunkt

Markus zitiert in seinem Evangelium (1,15) unseren Herrn: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahegekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ Für das eigentliche Werk der Versöhnung und den Weg danach musste erst die richtige Zeit gekommen sein. Im Paradies passierte der Supergau der Menschheit, dort wurde die Saat für alle Konflikte der Menschheit gelegt. Gott ließ dann durch das Gesetz die Menschen erkennen, wo ihr Problem liegt und dass sie Sünder sind. Gott lehrte sein Volk in den Opfern das Prinzip von Versöhnung. Aber die Zeit der eigentlichen Versöhnung war noch nicht gekommen. Gott arbeitet anscheinend bei vielem auf Zeit. Dies ist Ausdruck seiner Weisheit, Geduld und Gnade.

Wir selbst sind meist ungeduldig – nicht selten zum Schaden. Auch hinsichtlich Versöhnung und Neuanfang in Beziehungen braucht es Zeit. Manchmal scheint zwar alles noch schlimmer zu werden, wenn man sich Zeit lässt. Aber Zeit ist wichtig, um sich eines Problems und der eigenen Teilhabe daran bewusst zu werden. Sie wird benötigt, um in der Verbitterung die Sehnsucht nach Versöhnung reifen zu lassen (vgl. Röm 5,20ff.). Und sie hilft, neues Vertrauen zu gewinnen und den Frieden zu festigen. Bekanntlich kann sie sogar die Wunden heilen. „Du bist mein Gott! In deiner Hand sind meine Zeiten“ (Ps 31,15).

Josef und seine Brüder: Der Weg zu einem höheren Ziel

Tiefster Hass und Verkauf in die Sklaverei – das musste Josef von seinen eigenen Brüdern erleben. Okay, Josef hatte sich auch nicht immer ganz glücklich verhalten. Aber zu solchen Taten sind seine Brüder fähig.

Die Josef-Geschichte zeigt ebenfalls die Bedeutung von Zeit. Über Jahre werden die Brüder von ihrem Gewissen geplagt. Und Josef wird über Jahre hinweg durch Höhen und Tiefen gelehrt. Dann, in Verbindung mit großer äußerer Not, erfolgt die erneute Begegnung, und es kommt zur Schlüsselaussage in der Auflösung des Konflikts: „Gott hat mich vor euch her gesandt, um euch einen Überrest zu setzen auf Erden und euch am Leben zu erhalten für eine große Errettung“ (1Mo 45,7).

Eine wichtige Erkenntnis bleibt: Konflikte können auch ein göttlicher Weg sein, um ein höheres Ziel zu erreichen! Aber das zu erkennen braucht meist einige Jahre, in denen die Auswirkungen des Konflikts bitter erfahren werden müssen. Wenn wir dies so annehmen, ist es der Schlüssel zu einem neuen und friedvollen Leben in der wiederhergestellten Gemeinschaft. Bei den Brüdern Josefs blieb allerdings ein gewisses Unbehagen hinsichtlich möglicher Rache durch ihren Bruder bestehen. Aber das hat der Gemeinschaft nicht geschadet – vielleicht eher im Gegenteil. Jedenfalls werden sie die Ereignisse der Vergangenheit und ihres eigenen Verhaltens allmählich in einem anderen Licht gesehen haben. So schreibt der Gott allen Friedens zuweilen besondere Lebensgeschichten: „Zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich (Josef ) vor euch her gesandt“ (1Mo 45,5).

Paulus und Barnabas: Vom Segen der Vertraulichkeit

Zwei im Dienst gesegnete Brüder wollen auf Missionsreise gehen, und dann das: Streit über einen weiteren Bruder. „Es entstand nun eine Erbitterung, sodass sie sich voneinander trennten“ (Apg 15,39). Barnabas nahm Johannes Markus mit und segelte nach Zypern. Sein weiterer Weg verlor sich erst einmal. Im Weiteren wird nur noch der Weg des Paulus beschrieben. Erst in den späteren Briefen spricht der Apostel wieder von Barnabas und Johannes Markus. Anscheinend hat eine Versöhnung stattgefunden, auch wenn wir nichts davon lesen.

Die Berichte über den Konflikt sind neutral gehalten. Als wollten sie zeigen, dass so etwas durchaus möglich ist – selbst bei Aposteln! Aber sie zeigen auch, dass Details bei Konflikten nicht an die Öffentlichkeit gehören, auch der Prozess der Versöhnung nicht. Öffentlich breitgetretene Konflikte machen Versöhnung sowie das Leben und den Dienst danach oft schwer, manchmal unmöglich. Das Davor bestimmt auch hier das Danach! „Wenn jemand von euch Weisheit mangelt, er bitte Gott“ (Jak 1,5).

Schlussbemerkung: Gebet und Gnade

Dass Konflikte und Prozesse der Versöhnung von Anfang an vor den Thron der Gnade gebracht werden müssen, muss ich hier nicht erwähnen. Ohne Gottes Hilfe bleibt alles nur brüchiges Menschenwerk.

„Lasst uns mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Hebr 4,16).

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