Was ist ein anderer Geist?

„Denn wenn einer zu euch kommt und einen andern Jesus predigt, den wir nicht gepredigt haben, oder ihr einen andern Geist empfangt, den ihr nicht empfangen habt, oder ein anderes Evangelium, das ihr nicht angenommen habt, so ertragt ihr das recht gern!“

2. Korinther 11,4 gilt als eine klassische Stelle, die uns vor Verführern und fremden Geistern warnt. Paulus erklärt, wie hier jemand kommt, der einen anderen Jesus predigt. Allerdings drückt das Griechische etwas aus, was unsere Sprache auf den ersten Blick nicht so deutlich unterscheiden kann. Es steht hier für einen „anderen Jesus“ allos Jesous. Allos heißt „anders“, ist aber von dem Original nicht wesentlich verschieden. Doch hinter diesem allos Jesous steht ein heteron pneuma und ein heteron euanggelion. Heteros aber hat die Bedeutung von „anders“ im Sinne von „fremdartig“ oder „wesensfremd“. Das heißt, hinter diesem „anderen Jesus“, der dem Original noch ziemlich ähnlich sieht, steht ein fremder Geist.

Paulus erhebt gegenüber dieser Gemeinde zu Korinth einen schwerwiegenden Vorwurf. Er erklärt ungeschminkt, dass, wenn jemand kommt, der einen fremden Geist hat, dieser von ihnen gerne empfangen wird. Noch überraschender ist, dass er behauptet, wie sie diesen fremden Geist prächtig ertragen. Er gebraucht für dieses „tolerieren“ einer anderen Geistesmacht nicht einmal den Konjunktiv, sondern den Indikativ. Er sagt den Korinthern direkt, dass sie sich einem fremden Geist geöffnet und diesen angenommen haben. Etwas, was viele Gläubige gar nicht für möglich halten. Also keine schmeichelhafte Diagnose.

Doch wer kommt da? Wer ist damit gemeint? Wer sind die von Paulus ironisch titulierten „Superapostel“ (hyperlian apostolon, überaus sehr Apostel), wie er sie in 2. Korinther 11,5 und 12,11 bezeichnet?

Ab 2. Korinther 10 ändert Paulus seine vorher eher sanftmütige Schreibweise und setzt sich nun mit Leuten auseinander, deren hervorstechendes Merkmal darin bestand, dass sie ungeheuer ruhmsüchtig waren (2Kor 10,18; 11,18-19) und auch prahlten, dem Apostel gleich zu sein (2Kor 11,12). Es müssen auch begabte Redner gewesen sein, denn sie halten Paulus vor, dass seine Briefe zwar eindrücklich sind, seine Rednergabe jedoch schwach bis verachtenswert sei (2Kor 10,10).

Durch diese Leute begann angeblich die große Erweckung und sie rühmten sich fremder Arbeit (2Kor 10,13-15). Sie warfen Paulus vor, fleischlich zu sein (2Kor 10,2), weil er sich offensichtlich nicht rühmte und auch nicht Zeichen und Wunder in den Mittelpunkt stellte. Deswegen behaupteten einige sogar, er sei gar kein echter Apostel. Ein solcher müsse mehr „Vollmacht“ haben. Paulus muss deswegen erklären, wie des „Apostels Zeichen unter ihnen geschehen sind“ (2Kor 12,12). Er weist darauf hin, wie er sogar im Paradies war, es jedoch töricht ist, solche Erlebnisse oder Offenbarungen an die große Glocke zu hängen (2Kor 12,7- 11). Weil diese „Superapostel“ ständig ihre große Vollmacht und Kraft im Munde führten, rühmt sich Paulus ganz im Gegensatz dazu seiner Schwachheit (2Kor 12,5 u. 9) und belegt seine Apostelschaft mit der Fülle seiner Leiden (2Kor 11,22-33).

Darüber wird bei dem triumphalistischen Ansatz dieser besonderen Apostel damals wie heute gewöhnlich geschwiegen, bzw. Schwachheit, Leiden oder auch Krankheit werden als fleischlich eingestuft. Man setzt sich heute auch öfters problemlos in eins mit den biblischen Aposteln (2Kor 11,12). Paulus sagt dann ungeschminkt, wie diese besonderen Apostel mit ihrem großen Mundwerk einen anderen Jesus predigen, einen fremden Geist vermitteln (2Kor 11,4) und nennt sie falsche Apostel und arglistige Arbeiter (2Kor 11,13). Er muss den Korinthern vorwerfen, wie sie einen fremden Geist gerne ertragen (2Kor 11,4) und sich von Narren, die sie ebenso gerne ertragen, knechten lassen (2Kor 11,19- 20). Genauso sieht es heute aus, sodass man fast mit Salomo sagen muss: „Nichts Neues unter der Sonne“. Für „ertragen“ steht in diesen Versen 4, 19 und 20 immer das gleiche Wort.

Generell kann man sagen, dass die charismatische Szene bzw. Bewegung besonders anfällig für solche Art Verkündiger ist, die gewöhnlich die große Erweckung vorhersagen, die angeblich am Ende der Tage kommen soll. Auch spektakuläre Heilungen und atemberaubende Zeichen erwartet man von diesen „Superaposteln“. So hieß es auf einem Werbeplakat für den Heilungsevangelisten Morris Cerullo im April 2011 in Wien: „Eine mächtige, geistliche Kraft ist dabei, freigesetzt zu werden, welche die größte Manifestation Gottes hervorbringen wird, die die Welt je gesehen hat …“ Ähnlich kündigte einst Reinhard Bonnke auf seiner Einladung zur Feuer-Konferenz in Frankfurt 1987 wörtlich an: „Auftakt zur größten Ausgießung des Heiligen Geistes in Europa.“ Bescheidenheit ist eine Zier …

Mit zu diesem Triumphalismus gehört eine völlig falsche Exegese der Prophetie bei Joel, dass das, was zu Pfingsten vor 2000 Jahren geschah, ein Ereignis sei, das sich heute erfülle. Beinahe ausnahmsloswird diese Stelle aus Apostelgeschichte zitiert: „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen“ (Apg 2,17-18).

Wie kann man nun dieser Verführung entkommen, kündigt uns doch Jesus in seiner Endzeitrede das Auftreten von vielen falschen Propheten an, die sehr erfolgreich sein und große Massen in ihre Bann ziehen werden (Mt 24,11)?

Die Antwort auf diese falschen Lehren ist die gesunde Lehre. Natürlich ist die Voraussetzung die Treue zur Bibel und die Bereitschaft, dem Wort Gottes mehr zu gehorchen als seinen subjektiven Erfahrungen und Gefühlen. Auch ist es wichtig richtig einzuordnen, was die Bibel über die letzten Tage lehrt. Nämlich nicht die große Erweckung, sondern den großen Abfall, und am Ende der Tage wird Gott sogar kräftige Irrtümer schicken, eine Macht der Verführung, wie 2. Thessalonicher 2,11 voraussagt. Dieses übernatürliche Wirken verführerischer Geister wird in diesen Kreisen allzu oft als die oben erwähnte angebliche Erfüllung von Joels Weissagung interpretiert. Auch das sich epidemisch ausbreitende sogenannte „hörende oder prophetische Gebet“ sieht man oft genug hierin begründet und verwechselt Wahrsagerei bzw. Hellseherei mit biblischer Prophetie.

Letztlich ist es der stete Gebrauch und die Kenntnis der ganzen Schrift, die einen gemäß Hebräer 5,14 vor Verführung bewahren oder daraus befreien kann. Allerdings ist die Lehre in unseren Tagen fast „megaout“, wie es jemand mal formuliert hat. Auch haben wir eine neue Lobpreisgeneration, die ihre angebliche Erbauung in erster Linie und im zunehmenden Maße immer weniger in der Bibel, sondern vielmehr im „Worship“ bzw. Lobpreis sieht und empfindet. Da besteht nur eine geringe Chance, solchen kräftigen Irrtümern zu entkommen.

Vielleicht sollte man daran erinnern, wie in den Sendschreiben, wo ja ähnliche Vermischungen und Verführungen geschildert werden, der erhöhte Herr ermahnt Buße zu tun. Dies könnte womöglich der dringendste und wichtigste Appell an eine vom Bild und damit mehr vom Gefühl geprägte Generation sein, diesen vielen Verführungen und Verstrickungen in unseren Tagen zu entkommen (2Tim 2,25-26).

 

Checkliste

  • Bewirkt das spirituelle Erlebnis erkennbare Frucht des Heiligen Geistes (Freude, Friede, Geduld, Langmut …)?
  • Sind die Inhalte des spirituellen Erlebnisses im Einklang mit den biblischen Aussagen Jesu?
  • Wird durch das spirituelle Erlebnis Sünde aufgedeckt oder Korrektur bewirkt?
  • Wächst durch das spirituelle Erlebnis die Liebe zu Jesus, seinem Wort und seiner Gemeinde?
  • Kommen die spirituellen Erlebnisse ohne organisatorische und methodische Stimulierung durch religiöse Veranstaltungen oder fromme Formen aus?
  • Vereinnahmt die religiöse Erfahrung keine fremdreligiösen oder sektiererischen Methoden?
  • Lenkt die religiöse Erfahrung eher von eigenen Interessen und eigenem Befinden weg?
  • Wird die spirituelle Erfahrung von einer geistlich kompetenten Person geprüft?

Schon bei einem „Nein“ ist Vorsicht geboten!

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