Präsenz oder online …

Wie gestalten wir zukünftig Gemeinde?

Kurz vor Mitternacht läuft mein Zug ein. Meine Gastgeber in der Gemeinde, die ich besuche, sind Mitte Siebzig und stehen am Bahnsteig, als sei das um diese Uhrzeit völlig normal. Als der alte Volvo dann über die Autobahn rollt, zückt die Schwester ihr Handy und zeigt mir lachend die letzten Familienbilder. „Seit ich WhatsApp habe, bekomme ich wieder mit, was im Leben der Kinder so läuft“, meint sie. Das war Jahre vor Corona.

Im erweiterten Leitungsteam unserer Gemeinde sitzen wir zusammen und denken über die Versorgung unserer Geschwister nach. Wir fragen uns, wie es wohl denen geht, die zu keiner unserer Kleingruppen gehören. Wir beschließen, sie alle anzurufen – ganz analog –, um einfach zu reden, wie vor Jahrzehnten auch schon. Das war im Jahr 1 mit Corona – trotz Livestream, YouTube, Zoom, SpatialChat & Co.

Präsenz ODER online?

Ich vermute, es wird weise sein, die Einstellung des Apostels Paulus für unsere Zeit anzuwenden: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Ich tue aber alles um des Evangeliums willen, um an ihm Anteil zu bekommen“ (1Kor 9,22b-23). Schon immer haben diejenigen mit einem liebenden Herzen jeden Weg genutzt, um anderen Menschen zu dienen. Das werden wir auch künftig so halten – erst recht diejenigen unter uns, die „um des Evangeliums willen“ entscheiden, was sie tun.

Was bedeutet das für unsere gemeinsamen Veranstaltungen – Bibelstunden, Predigt-Gottesdienste, Abendmahl, Hauskreise? Gehört die Zukunft den Online-Gemeinden? Muss nicht zumindest eine Hybrid-Lösung dauerhaft her, also Präsenz und Livestream in Kombination? Aber fördern wir damit nicht ein „Sofa-Christentum“? Werden es sich einige dann nicht dauerhaft im virtuellen Raum bequem machen? Heißt es nicht, dass wir „unser Zusammenkommen nicht versäumen“ sollen? Ja, das heißt es, und es lohnt sich, diese ausdrückliche Aufforderung näher anzuschauen.

„Da wir nun, Brüder, durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum, … so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen … Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten … und lasst uns aufeinander achthaben, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzureizen, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen (o. im Stich lassen), wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen seht!“ (Hebr 10,19-25)

Weil der Herr Jesus uns Zugang zu Gott verschafft hat, sollen wir …

  1. diesen auch nutzen,
  2. diesen Gott bekennen und
  3. einander motivieren und ermutigen zu einem Lebensstil, der zu unserer Zukunft bei ihm passt.

Und bei Letzterem soll das Treffen mit Glaubensgeschwistern eine wichtige Rolle spielen! Zeiten der Gemeinschaft sind kein Selbstzweck, sondern sie ermöglichen uns, am Leben anderer teilzunehmen, sie zu „Liebe und guten Werken anzureizen“, sie zu ermutigen. Das geschieht während der Kinder- und Jugendstunden, durch die Wortbeiträge in den Gemeindeveranstaltungen und Hauskreisen – und besonders auch in den persönlichen Gesprächen hinterher.

Passiert das auch bei Online-Gottesdiensten? Natürlich. Manche ältere, gebrechliche Geschwister haben in den letzten zwölf Monaten mehr Gemeinde erlebt als in den zehn Jahren vorher zusammen. Und die Reichweite unserer Ermutigung ist mancherorts um einiges gestiegen.

Geht das persönliche Ermutigen und Ermahnen bei leibhaftigem Treffen zielgenauer und nachhaltiger? Das trifft ebenso zu, zumindest für solche, denen es möglich ist, dabei zu sein.

Daher sollten wir künftig, soweit es uns möglich ist, jede Form von „Zusammenkommen“ anbieten, die wir brauchen, um konstruktiv in das Leben von Menschen in unserem Verantwortungsbereich hineinzuwirken. Je „mehrdimensionaler“ es geht, desto nachhaltiger ist es – und dabei wollen wir die anderen gemäß Hebräer 10 „nicht im Stich lassen“.

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