Klare Kante, aber nicht kantig!

Aber hallo, wie hätten Sie es denn jetzt gerne? Wer eine klare Kante zeigt, der muss doch unweigerlich auch kantig sein, oder?

Klare Kante zeigen; das bedeutet, sich eindeutig positionieren, seinen eigenen Standpunkt klar nennen, sich abgrenzen. In unserer heutigen Gesellschaft heißt das auch, sich gezielt und mit scharfen Konturen zu präsentieren, um die Kante sichtbar zu machen.

Wir erleben eine gesellschaftliche Entwicklung, die davon geprägt ist, dass sich viele aus der christlichen Tradition entstandenen Werte verändern. Sie werden bis zur Bedeutungslosigkeit relativiert oder ganz abgeschafft. Werteverfall und Werteverlust kennzeichnen die Entwicklung unserer postmodernen Gesellschaft. Hinzu kommt, dass viele der neuen Werte, die sich anbieten, eine so kurze Verfallszeit haben, dass sie sich überhaupt nicht etablieren oder bewähren können.

In Zeiten wie diesen bewundern wir Menschen, deren Leben nicht von der Beliebigkeit persönlicher Vorlieben bestimmt, sondern in festen Überzeugungen verankert ist. Überzeugungen, die den Test der Zeit bestehen. Überzeugungen, die in einer Wahrheit gegründet sind, die in der Ewigkeit verankert ist. Jesus Christus wusste, wie wichtig dies für seine Nachfolger sein würde, deshalb betete er: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hasst sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.“ (Johannes 17,14- 17)

Der Apostel Paulus ermutigt die Christen in Rom dazu, Gottes Wahrheit in ihrer Gesellschaft durch ihr Leben sichtbar zu machen: „Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ (Römer 12,1-2)

Klare Kante zeigen und dabei nicht kantig sein – das ist nicht möglich, wenn wir mit unseren Überzeugungen wie mit einem Kantholz um uns schlagen. Doch es ist möglich, wenn wir anderen Menschen Gelegenheit geben, sich an der Standhaftigkeit unserer im Alltag gelebten Überzeugungen zu reiben.

Genau das ist die Herausforderung unserer Zeit. Woran liegt es, dass sich unser Gebetsleben nicht verändert, obwohl wir gerade eine ermutigende, ergreifende Predigt über das Gebet gehört haben? Was hilft die Erkenntnis, dass Väter Zeit mit ihren Kindern verbringen müssen, damit diese sich emotional gesund entwickeln können und dieses Wissen dann doch auf dem Altar der Arbeit geopfert wird? Wir schauen uns um in unserer Welt und sind uns sicher, dass wir unterscheiden können zwischen richtig und verkehrt, entwickeln aber trotzdem keine festen Überzeugungen. Das Ergebnis davon ist, dass unser Leben nicht unseren Worten entspricht. Wir leben ohne eine erkennbare Kante.

Im Buch Daniel lesen wir von König Nebukadnezar. Seine Armeen brachten von ihren Eroberungszügen in allen Ländern, die sie einnehmen konnten, immer die intelligentesten, begabtesten und weisesten jungen Leute mit nach Babylon. Auf diese Weise kamen auch Daniel und seine Freunde nach Babylon. Sie wurden nicht wie Sklaven behandelt, sondern in die Kultur der Babylonier integriert. Sie waren sogar in der Nähe des Königs untergebracht und wurden mit allem gut versorgt. So hatte der König eine Elite von Beratern in seiner unmittelbaren Nähe. Teil dieser Integration war auch die Teilnahme an Mahlzeiten, bei denen das Essen serviert wurde, das auch der König zu sich nahm. Dabei handelte es sich um Speisen, die den Göttern geopfert wurden und die nicht den Essensvorschriften des Volkes Gottes entsprachen. Als er damit konfrontiert wurde, traf Daniel die Entscheidung, zu seinen Überzeugungen zu stehen: „Aber Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, dass er sich mit des Königs Speise und mit dem Wein, den dieser trank, nicht unrein machen wollte, und bat den obersten Kämmerer, dass er sich nicht unrein machen müsste.“ (Daniel 1,8)

Darf ich Sie fragen, ob Sie in Ihrem Herzen schon feste Entschlüsse gefasst haben? Haben Sie sich entschieden, wie Sie zu den moralischen und ethischen Fragen in den „Grauzonen“ unserer Welt stehen? Gibt es in Ihrem Leben Gebiete, wo Sie, komme was da wolle, keinen Kompromiss eingehen werden?

Gott sucht treue Menschen wie Daniel und seine Freunde. Menschen, die ihren Glauben leben, ihrem Gewissen folgen, und das mit Beständigkeit. Es sind diese Menschen, die Gott auf eine Ebene bringt, auf der sie Einfluss ausüben – wo sie Kante zeigen können.

Später im Buch Daniel lesen wir, wie Nebukadnezar versuchte, die vielen Religionen, die sich in seinem Land verbreitet hatten, alle unter einen Hut zu bekommen. Seine Lösung: „Ihr alle könnt glauben, was ihr möchtet und anbeten, was ihr wollt, aber ihr müsst mich als die absolute Autorität in eurem Leben anerkennen.“ Zu diesem Zweck wurde in der Ebene Dura ein großer Turm mit Götzenbild gebaut, vor dem alle niederknien sollten. Als die Musik spielte, knieten alle nieder – ausgenommen die Hebräer.

Ihre Antwort an den König zeigt ihre klare Kante: „Es ist nicht nötig, dass wir dir darauf antworten. Siehe, unser Gott, den wir verehren, kann uns erretten aus dem glühenden Feuerofen, und auch aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er‘s nicht tut, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten werden.“ (Daniel 3,16-17)

Diese jungen Männer hatten erkannt, dass sie im Blick auf die Ewigkeit viel mehr zu verlieren hatten, als sie durch einen Kompromiss zu Lebzeiten hätten gewinnen können.

Aus Israel sind damals viele junge Männer weggeführt worden. Wir kennen ihre Namen nicht. Denn sie sind nicht ähnlich markant für ihre Überzeugungen eingetreten.

Bevor Sie und ich es Gott nicht erlauben, uns aus dem „angenehmen“ Bereich von Ansichten und Meinungen in den „kostspieligen“ Bereich der Überzeugungen zu versetzen, werden wir nicht so klar Kante zeigen, wie das bei Daniel und seinen Freunden der Fall war. Sie konnten eine ganze Nation verändern.

Vielleicht sagen Sie jetzt: Das sind ja nur Bibel-Geschichten. Wo betrifft das meinen Alltag? Was macht es schon aus, dass Gott mich nicht benutzen kann, weil ich gewisse Kompromisse eingehe? Was verpasse ich dabei?

Gute Frage, und ich kann sie nicht beantworten. Daniel konnte damals auch nicht die Tragweite seiner Entscheidung absehen. Seine Freunde ebenso wenig. Sie wussten nicht, wie es weitergehen würde. Sie wussten aber, dass sie eine Entscheidung treffen mussten. Sie mussten sich entscheiden, ob sie nach ihren Überzeugungen leben oder einen Kompromiss schließen wollten.

Als Christen können wir nur Kante zeigen, wenn wir Überzeugungen haben. Und wir werden dabei nicht kantig daherkommen, wenn wir diese Überzeugungen auch selber leben. Es gibt viele Bereiche, in denen wir diese Überzeugungen brauchen.

Ich nenne hier einmal drei Bereiche, über die es sich lohnt nachzudenken:

Moralische Reinheit

Wir sind herausgefordert, Überzeugungen im Blick auf moralische Reinheit zu haben, und zwar sowohl im physischen, wie auch im mentalen Bereich. Dabei reden wir nicht über Sex. Wir reden über Reinheit. Wie will ich mich verhalten, wenn ich zu einem „Date“ gehe? Was darf mein Denken beeinflussen? Wie gehe ich mit Pornographie um? – Bestimmt habe ich zu allem eine Meinung, tue meine Ansichten kund, – aber habe ich auch Überzeugungen? Dann werde ich alles dransetzen, dass ich diese Überzeugungen auch lebe. Ich werde mir Schutzzäune und Frühwarnsysteme in mein Leben einbauen, damit ich meine Überzeugungen leben kann.

Ethische Überzeugungen

Wir brauchen ethische Überzeugungen. Als ich mir unsicher war, ob ich meinen ersten Mietvertrag für Büroräume unterschreiben sollte, sagte mir der Makler: „Machen Sie sich keine Sorgen – Verträge kann man immer brechen“. So kann ich aber nicht leben. In der Bibel steht: „Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt.“ (Jakobus 5,12)

Ich bewundere Unternehmer, die sich nicht nur weigern, Schmiergeld anzunehmen, sondern sogar hingehen und alles in ihrer Macht Stehende tun, um solche Praktiken zu verhindern – koste es sie, was es wolle. Sie sind ein Segen für unsere Gesellschaft.

Geistliches Leben

Wir brauchen Überzeugungen im Blick auf unser geistliches Leben. Was werde ich tun, damit meine Beziehung zu Gott lebendig bleibt und ich in der Erkenntnis Gottes wachse? Welchen Stellenwert hat die Gemeinschaft mit anderen Christen für mein Leben? Bin ich davon überzeugt, dass ich diese Bereiche immer weiterentwickeln und pflegen muss? Wenn ja, welche Schritte gehe ich, um das zu erreichen?

Kante zeigen und dabei nicht kantig sein beschränkt sich nicht darauf, vor allen Gefahren der Verweltlichung zu warnen. Ich entlarve „die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus“ (Kolosser 2,8), indem ich in Wort und Tat, in meinen Alltag überzeugt und konsequent Jesus nachfolge.

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