Jesus ging hinaus

Beim Studium der Leidensgeschichte Jesu im Johannesevangelium fällt eine Formulierung auf, die Johannes mehrfach benutzt: Jesus „ging hinaus“.

  • „Als Jesus dies gesagt hatte, ging er mit seinen Jüngern hinaus über den Bach Kidron.“ (Joh 18,1)
  • „Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ging hinaus und sprach zu ihnen: Wen sucht ihr?“ (Joh 18,4)
  • „Jesus nun ging hinaus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand.“ (Joh 19,5)
  • „Und er selbst trug sein Kreuz und ging hinaus nach der Stätte, genannt Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgatha heißt, wo sie ihn kreuzigten.“ (Joh 19,17)

Dieses Detail im Bericht über Jesu Leiden und Sterben lädt ein, gedanklich stehen zu bleiben und zu überlegen, was das über den Herrn Jesus aussagt.

1. Jesus ging

Jesus ging bewusst den Weg zu Leid und Tod. Er war kein Opfer der Umstände. Er versteckte sich nicht und floh nicht. Er musste nicht von Häschern gejagt und gefangen werden. Er wurde nicht willenlos von Pilatus einem politischen Frieden geopfert. Er musste nicht von den Soldaten zur Hinrichtungsstätte geschleift werden. Er ging. Bewusst und souverän stellte er sich den schrecklichen Situationen. Und er tat das sehenden Auges, im genauen Wissen um das, was kommen würde. So zeigte er sich auch in den bittersten Stunden als der souveräne Herr. „Niemand nimmt mein Leben von mir, sondern ich lasse es von mir selbst“ (Joh 10,18). Er ging, weil er es so wollte.

2. Jesus ging hinaus

Im Hinaus-Gehen ließ er Vertrautes hinter sich. Darin zeigte sich – wie schon so oft vorher – seine Bereitschaft zum Verzicht.

Zuerst ging er durch das Kidrontal, hinaus aus der warmen Atmosphäre des Passah-Mahls im Obersaal, hinaus aus den vertrauten Gesprächen mit den Jüngern, aus der intensiven Gebetsgemeinschaft mit seinem Vater. Er verzichtete auf den Genuss vertrauten Zusammenseins.

Dann stellte der Herr Jesus sich seinen Verfolgern. Und damit stellte er sich gleichzeitig schützend vor seine Jünger: „Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen“ (Joh 18,8). Er stand allein und ließ sich gefangen nehmen. Er ging hinaus aus dem Kreis der Jünger und war einsam und verlassen (Jes 53,3).

Nach dem Verhör und der brutalen Folterung wollte Pilatus Jesus dem Volk vorführen. Aber der ging selbst hinaus zu der hasserfüllten Volksmenge, die in keinster Weise an einem fairen Gerichtsprozess interessiert war. Diese  Menschen wollten nur eins – seinen Tod, und zwar so schnell wie möglich. Und das brüllten sie ihm ins Gesicht. Jesus ging hinaus in den grundlosen und abgrundtiefen Hass der Menschen.

Und dann ging Jesus hinaus zur Hinrichtungsstätte, den schweren Kreuzbalken auf seiner zerschundenen Schulter. Er ging in dem Bewusstsein, dass ein qualvoller Tod auf ihn wartete – und noch weit Schlimmeres als das: Gottes Gericht über die Schuld der Menschen. Er ging hinaus in die Gottesfinsternis, in den Tod.

3. Jesus war draußen

Das „Hinaus-Gehen“ Jesu erinnert auch an das Yom-Kippur-Fest, den großen Versöhnungstag. Dort wurden ja nach  dem Gesetz Moses die toten Opfertiere außerhalb des Lagers der Israeliten verbrannt (3Mo 16,27). Diese eindrückliche Illustration des wahren Versöhnungs-Opfers (Jesus Christus) wird im Neuen Testament erklärt: „Darum hat auch Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten“ (Hebr 13,12). Die Betonung des Hinaus-Gehens im Johannesevangelium weist bereits auf die wahre Bedeutung des Todes Jesu hin. Der endgültige Versöhnungstag war gekommen. Jesus war draußen, „außerhalb des Tores“, und er hat uns  durch sein Blut geheiligt. Jetzt gibt es „Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1).

4. Jesus ging für mich

Bei seiner Gefangennahme hatte sich der Herr schützend vor seine Jünger gestellt: „Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen“ (Joh 18,8). Diese Geste zeigt sich auch im ganzen Geschehen seines Leidens und Todes: Durch sein Hinaus-Gehen bis ans Kreuz hat sich der Herr Jesus schützend vor mich gestellt. Indem er ging, um Gottes Strafe für meine Sünde zu empfangen, darf ich straffrei ausgehen. Es ist, als ob er durch sein Handeln zum Vater  sagen würde: „Wenn du mich suchst, dann lass diese gehen.“

Der Herr Jesus ist hinaus – und seinen Weg bis zu Ende gegangen. Daher ist das letzte Wort Jesu vor seinem Tod, das Johannes überliefert, so treffend: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30). Die Strafe ist vollzogen, die Schuld ist bezahlt, ich darf frei ausgehen!

Am Ende dieser Überlegungen bleiben ehrfürchtiges Staunen und dankbare Anbetung. Er, der hinausging, soll drinnen sein und bleiben in meinem Leben. Ihm möchte ich folgen und gehorchen. 

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