Israel, die Gemeinde und die Völker der Welt – macht Gott einen Unterschied?

Im Zuge der aktuellen Lage (Corona- Pandemie) kommt auch Gottes weltweites Gerichtshandeln wieder mehr in den Blick. Zu Recht fragen wir uns, ob das, was in der Welt vor sich geht, von Gott gewirkt wird.

Gott hat die Völker nicht etwa sich selbst überlassen, sondern sein Regierungshandeln kommt nach wie vor in der Welt zum Tragen. Allerdings fehlt es heute – anders als in der Zeit des Alten Testaments – an Propheten, die explizit Gottes Handeln an den Völkern verkünden und ausweisen. Statt dessen hat die Gemeinde heute aber sein abgeschlossenes Offenbarungswort, die Bibel, das zur Beurteilung der Zeiten und des Fortschritts der Heilsgeschichte absolut ausreichend ist. Und darüber hinaus gilt die Regel: Was Gott schon früher über die Völker gesagt hat, zeigt auch heute, nach welchen Maßstäben er die Völker beurteilt und richtet bzw. „regiert“. Auch Gläubige sind damit indirekt von Gottes richterlichem Handeln in der Welt betroffen (sie können in Unruhen und Kriegen und in nationale Katastrophen und deren Folgen eingebunden sein, wie es z.B. in den beiden Weltkriegen des 20. Jhs. der Fall war.), aber es ist für sie kein göttliches Gericht, sondern Bewährungsprobe ihres Glaubens (vgl. Hebr 10,32-39; 1Petr 1,6,-7; 4,12-19). Gläubige sind in einer Welt präsent, die sie keineswegs als ihr Zuhause empfinden. Nicht nur aufgrund von Verfolgung und Bedrängnis ersehnen sie ihr eigentliches Zuhause bei Gott, sondern auch im Blick auf die Vergänglichkeit des äußeren Menschen (vgl. 2Kor 4,16-18).

Doch was sagt uns nun der Prophet Amos im Blick auf Israel und die Völker, und was können wir über die Rolle der Gemeinde in Bezug auf die Völker der Erde sagen?

Israel und die Völker der Welt

Israel ist und bleibt das erwählte Volk Gottes unter allen Völkern dieser Erde (s. Am 3,2): „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt.“ Damit verliert Gott aber die übrigen Völker keineswegs aus dem Blick. Nicht nur an seinem Volk Israel, auch an ihnen sucht er ihre Sünden („Verbrechen“) heim, und sein letztendliches Ziel ist, dass auch sie ihm uneingeschränkt Ehre geben und sich seiner Herrschaft unterstellen, denn auch über ihnen ist „mein Name ausgerufen …, spricht der HERR“ (Am 9,12). Das gerät auch bei anderen Propheten in den Blick und wird mit Verheißungen verknüpft (vgl. z. B. Sach 8,20-23): „In jenen Tagen, da werden zehn Männer aus Nationen mit ganz verschiedenen Sprachen zugreifen, ja sie werden den Rockzipfel eines jüdischen Mannes ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“ Das Volk Israel wird endzeitlich wieder in den Mittelpunkt des Weltgeschehens rücken und nach seiner Reinigung und Läuterung doch noch die Rolle spielen, die ihm von Anfang an in dieser Welt von Gott zugedacht war, nämlich ein Licht zu sein zur Erleuchtung der Nationen (vgl. Jes 43,21; 60,1-3). Diese Perspektive beseelte auch einst Jakobus in Jerusalem, als er aus dem Propheten Amos zitierte und damit die Hoffnung Israels zum Ausdruck brachte: „An jenem Tag richte ich die verfallene Hütte Davids auf, ihre Risse vermauere ich, und ihre Trümmer richte ich auf, und ich baue sie wie in den Tagen der Vorzeit“ (Am 9,11; Apg 15,16), und er zog konsequenterweise den folgenden Schluss daraus: „damit die Übrigen der Menschen den Herrn suchen und alle Nationen, über die mein Name angerufen ist, spricht der Herr, der dieses tut“ (V. 17).

Gott hatte also schon immer im Sinn, auch die Nationen zu sich zu wenden, damit sie ihn anbeten. Doch wird dieses Ziel erst am Ende der Zeiten tatsächlich umfassend erreicht werden. Im jetzigen sogenannten Zeitalter der Gnade zeigt sich dieser universale Heilswille Gottes darin, dass allen Menschen das Evangelium der Gnade in Jesus Christus verkündet und auf diese Weise ein geistliches Volk aus Juden und Heiden (die Gemeinde) gesammelt wird, das ihm gegenwärtig Ehre und Anbetung in dieser Welt bringt.

Gottes Gericht über die Völker

Gegen sechs Nachbarvölker Israels spricht Amos Gerichtsworte aus, unüberhörbar „brüllt der HERR vom Zion her“.
Das Maß ihrer Schuld ist über das Erträgliche hinausgewachsen, das drückt die wiederholte Formel „wegen drei Verbrechen … und wegen vier“ aus. Und es kommt hinzu, dass sie ihre Verbrechen auch an Gottes auserwähltem Volk verübt haben. Das kommt auch heute verstärkt wieder in den Blick: Israel steht nach seiner neuzeitlichen Staatengründung wieder im Mittelpunkt des Weltgeschehens, und die Völker unmittelbar um Israel herum sind seitdem zum großen Teil auf „Verbrechen“ an diesem Volk ausgerichtet. Auch hier wird Gottes Gericht erfolgen, wenn das Maß ihrer Schuld unerträglich werden wird. Der Stolz der Völker, die sich gegen Gottes erwähltes Volk erheben, wird zerbrochen werden. Ihre Macht wird zerschlagen und ihr verbrecherisches Tun wird beendet werden. So war es damals und so wird es auch in Zukunft sein.

Jedoch muss Gott auch an seinem eigenen Volk Gericht üben, denn es hat sich damals ebenso vieler Verbrechen schuldig gemacht. Auch gegen Juda und Israel brüllt der HERR aus Zion. Das Gericht über die Völker ist daher kein Anlass für Israel, sich selbst im Recht zu sehen und zu triumphieren. Bei Gott ist kein Ansehen der Person, und wenn sein erwähltes Volk schuldig wird, dann muss er es ebenso richten wie alle anderen und sogar bei ihm zuerst damit beginnen (vgl. 1Petr 4,17): „Alle Sünder meines Volkes werden durchs Schwert sterben, die da sagen: Du wirst das Unglück nicht herbeiführen, und bis zu uns wirst du es nicht herankommen lassen“ (Am 9,10). Aber auch in diesem Gericht gibt es noch Hoffnung, nämlich wenn sein Volk zu ihm umkehrt: „Vielleicht wird der HERR, der Gott der Heerscharen, dem Überrest Josephs gnädig sein“ (Am 5,15). Das gilt damals wie heute.

Und die Gemeinde?

Können Gläubige heute ohne Folgen sündigen und Gottes Anspruch auf wahre Anbetung und Verehrung vernachlässigen? Wir sind dazu geneigt und bekommen heute sogar jede Menge Zuspruch zu denken, in Jesus Christus für ewig gerettet und sicher zu sein aufgrund der Erlösung, die er am Kreuz für uns vollbracht hat. Grundsätzlich stimmt das. Aber wenn wir trotzdem sündigen, laufen auch wir Gefahr, unter das richterliche Handeln Gottes zu kommen. Wir werden zwar nicht zusammen mit der Welt gerichtet (vgl. 1Kor 11,32), aber auch die Gemeinde hat es mit Gottes richterlicher Autorität zu tun (s. u. a. Hebräer 12,29). Bei Gott ist kein Ansehen der Person, betont Paulus im Römerbrief (2,11), und das bedeutet, dass er nicht darüber hinwegsehen wird, wenn seine Gemeinde sündigt und sich nicht uneingeschränkt auf ihn ausrichtet, obwohl sie seinen Willen kennt; wenn sie sich stattdessen von der Gottlosigkeit und dem moralischen Verfall um sie her anstecken lässt.

Für uns alle heißt das: Wenn wir uns selbst nicht beurteilen und prüfen, ob wir im Glauben sind (2Kor 13,5), und daraufhin umkehren und Buße tun, dann wird es früher oder später auf uns zurückfallen, wenn wir gegen Gott streiten. Auch für die Gemeinde heute gibt es ein Maß, welches das für unseren HERRN Erträgliche übersteigt und sein richterliches Handeln herausfordert (vgl. Offb 2,16.21-23; 3,3), – und zwar noch in der laufenden Heilszeit und nicht in einer weit entfernten Zukunft.

Konsequenzen einer biblischen Zusammenschau von Israel, der Gemeinde und den Völkern der Welt

Gott verfolgt mit seinem Handeln in dieser Welt auf verschiedenen Wegen und Linien seine Ziele. Wir haben längst nicht in alles Einblick, aber das, was wir für uns selbst und sein Handeln mit uns wissen müssen, teilt er uns in seinem Wort mit. Gottes Heilswille steht dabei über allen Menschen und Völkern. Weder müssen wir uns in Konkurrenz zu anderen sehen, noch dürfen wir uns anmaßen, fremde Angelegenheiten und Zusagen für uns selbst in Anspruch zu nehmen. Am Ende führt Gott alles zusammen, denn sein Ziel ist es, „alles zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist – in ihm“ (Eph 1,10). Schon zu Zeiten des Neuen Testaments drohten die Wege von Juden und Heiden, die Gott vorbildhaft im Gebilde der Gemeinde, also im Leib Christi, zusammenführte, wieder auseinanderzudriften – durch Festhalten an einem überkommenen religiösen System bzw. an alten Klischees der Unterscheidung und Auseinandersetzung zwischen Völkern, Rassen und Geschlechtern und ihrer jeweiligen Rangfolge. Doch in Christus sind diese Unterschiede außer Kraft gesetzt, und jeder, der sie aufs Neue betont und wieder einführt, denkt und handelt niemals im Sinne dessen, der uns zu Einheit und Liebe beruft. Die eigene Gemeinde gegenüber einer anderen zur Geltung zu bringen, beraubt letztlich Gott seiner Ehre und Größe. Seine Absicht ist eine andere, dass nämlich durch die Gemeinde nicht nur den Völkern der Welt, sondern auch der himmlischen Welt „die mannigfaltige Weisheit Gottes zu erkennen gegeben wird“ (Eph 3,8-10).

Der Auftrag, der Zuspruch und das Vorbild unseres Herrn waren immer von ganz einfacher Natur: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28,18-20). Es geht darum, Menschen in den Machtbereich Christi hineinzuholen, d. h. unter seine Herrschaft zu bringen, statt die Welt für den Herrn zu erobern. Und das geschieht nach wie vor auf dem Weg, den wahres Christsein schon immer gegangen ist: das Evangelium allen Menschen zu verkünden, damit sie gerettet und zu Jüngern des Herrn Jesus werden. Das wird durch den Heiligen Geist besiegelt und öffentlich durch die Taufe bezeugt, wodurch ein an Jesus gläubig Gewordener dokumentiert, wem er zukünftig gehören und für wen er leben will: für einen starken und allmächtigen dreieinigen Gott und in seiner völlig verlässlichen Obhut.

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