Gemeinschaft aus der Distanz

Ich bin drei Jahre alt“, sagt die kleine Elea und streckt stolz drei Fingerchen in die Webcam. 120 Leute freuen sich mit, und die Ankündigung der Geburtstage hat ein neues Gesicht bekommen. Neben ihr auf dem Bildschirm lächelt eine Oma und eine relativ neue Familie – und jeder kennt jetzt ihre Namen, weil die bei dem Anbieter, den wir nutzen, am Bild dran stehen. Eine junge Frau ist dieses Mal alleine zu sehen, und auf Nachfrage hören wir, dass ihr Mann ja im Altenheim arbeitet – ach so, das wussten wir noch gar nicht, auch sie sind noch nicht so lange in der Gemeinde. Damit auch die alte Schwester zwei Straßen weiter nicht ausgeschlossen ist, bringt ihr jeden Sonntagmorgen eine junge Mutter ein Handy vorbei. Mit dabei ist auch jedes Mal die Missionarin aus Ostasien, die wir erst letztes Jahr „adoptiert“ hatten und die gerade auf Heimataufenthalt ist. Die Predigt kam letztens live aus Griechenland, von unserem Missionar dort, aus seinem Wohnzimmer. Eine junge Künstlerin hielt seine Gedanken noch während der Predigt in einer genialen Grafik fest, die sie am Ende des Gottesdienstes in die Kamera hielt – sie steht jetzt vielen als Gedankenstütze zur Verfügung.

All diese Dinge wären ohne Corona nicht passiert oder unbemerkt geblieben. All diese Dinge könnten auch nach Corona einen Platz im Gemeindeleben erhalten.

Gemeinschaft lässt sich auch auf Distanz pflegen. Es ist etwas gewöhnungsbedürftig, und es ist natürlich nur selten so gut, wie wenn man sich gegenübersitzt. Aber man lernt zum einen wieder neu schätzen, was man in „normalen“ Zeiten immer hatte – und vielleicht ja auch wieder bekommen wird. Zum anderen kommen jetzt Ideen auf, die manche lange nicht mehr hatten: Es werden deutlich mehr Postkarten geschrieben – und diese Art von Ermutigung ist meistens länger sichtbar als eine E-Mail- oder WhatsApp-Nachricht. Eine junge Frau in unserer Gemeinde schenkt einer alten und gebrechlichen Witwe einen täglichen, kurzen Spaziergang. Eine andere junge Frau bietet Einkaufen und Kochen als freie Dienstleistung für Senioren ihrer Umgebung an. Eine Studentin fragte, ob sie uns während der vorzeitigen Uni-Schließung mit irgendetwas zur Hand gehen könnte, sie hätte aktuell viel Zeit. Ich habe ihr ein Buch gegeben, für das eine Zusammenfassung gebraucht wurde – und anschließend haben wir mit sieben Leuten einen angeregten Diskussionsabend darüber per Videochat verbracht.

Aber auch, wenn wir Christen für unsere Zuversicht und Dankbarkeit bekannt sein sollten, lässt sich nicht leugnen, dass nicht jeder so ohne Weiteres auf „Gemeinschaft aus der Distanz“ umschalten kann. Für eine alte Schwester war es eine Erlösung, als sie in ihrem Seniorenheim wenigstens wieder zum Essen in den Speisesaal durfte. Eine Krankenschwester, die jetzt nach 30 Jahren als Familienfrau im Noteinsatz ein Altenheim-Team verstärkt, berichtete im Hauskreis von sehr verstörten Demenzkranken, die nicht verstehen konnten, warum sie von Maskenträgern umgeben waren und ihre Angehörigen draußen nur durch das Fenster sehen durften … Besonders bitter, wer in dieser Zeit im Sterben lag oder liegt und Verwandte nur sehr begrenzt Zugang erhalten.

Was in Gemeinden mit über fünfzig Erwachsenen noch mal wichtiger in dieser Zeit untersagter Großveranstaltungen ist: zu einer Kleingruppe zu gehören. Wo es schon zu normalen Zeiten möglich war, unentdeckt für zwei oder drei Wochen zu fehlen, da fällt man jetzt durch das Raster. Wo es hingegen Leute gibt, die wissen: „Die/der gehört zu uns!“, da wird nachgefragt, ermutigt, geholfen. Und da ist es egal, ob jemand Internet hat oder nicht. Da kommt jemand kurz vorbei, ruft an oder schreibt eine Karte. Und vor allem hat jeder andere, die für ihn oder sie beten!

Bald sollen Gottesdienste wieder erlaubt werden – natürlich mit Maske und 1,50 m Abstand. Was wird das gut sein, einander mal wieder leibhaftig zu begegnen! Auf der anderen Seite: Wie unsere Leute das durchhalten wollen, nach langer Zeit wieder in einem Gebäude, ohne sich zu umarmen …? Viele werden unter diesen Umständen wohl noch länger Gemeinschaft aus der Distanz wählen und sich per Zoom oder YouTube-Livestream zuschalten. Da sieht man die Leute wenigstens richtig, ohne Maske …

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