Kein Ostern ohne Karfreitag

Das Helle wird vor einem dunklen Hintergrund intensiver wahrgenommen. Im alltäglichen Leben kann dieser Kontrasteffekt zu Wahr-nehmungs- und Beurteilungsfehlern führen. Anders sieht das bei Ostern aus. Ohne Karfreitag als dunklen Hintergrund können wir nicht die volle Bedeutung und die Strahlkraft  der Auferstehung Jesu wahrnehmen.

Die enge Verbindung von Tod und Auferstehung Jesu wird in der Bibel immer wieder deutlich gemacht. Jesus Christus musste nach den Schriften sterben und auferstehen (1. Korinther 15,3-4; Lukas 24,26). Dies ist zu einem zentralen Punkt der Verkündigung in der Zeit der ersten Gemeinden geworden (Apostelgeschichte 17,3). Bei Jesus Christus ist der Tod nicht die Folge einer tragischen Fehlentscheidung eines Richters oder das vorgezogene Ende, das unausweichlich jeden Menschen erwartet. Christus ist für unsere Sünden gestorben (1. Korinther 15,3), wegen unserer Übertretungen dahingegeben worden (Römer 4,25). Damit ist die Kreuzigung Jesu mehr als nur Anlass für einen netten religiösen Feiertag; das Geschehen am Kreuz wird persönlich und spricht mich direkt an.

Der Name Karfreitag leitet sich vom althochdeutschen chara bzw. kara ab, was Trauer, Klage und Kummer bedeutet. Der ganze Kummer Gottes mit der Menschheit wird sichtbar. Da wird Jesus Christus, dem Schuldlosen, Gewalt angetan. Er wird körperlich und seelisch auf das Übelste misshandelt, bis zu bitteren Todesschmerzen. Es ist die Stunde der Finsternis. Aber das, was als Sieg der Finsternis erscheint, wird zum Triumph des Gekreuzigten. Jesus hat vor seinem physischen Tod seinen Geist dem Vater übergeben (Lukas 23,46), und er wusste, dass sein Werk der Stellvertretung vollbracht war (Johannes 19,30). Jesus hat sein Leben selbst beendet, da musste kein Soldat nachhelfen wie bei den anderen Mitgekreuzigten. Das zeigt, dass das Opfer für die Sünden der Menschen gebracht und von Gott angenommen worden war (Epheser 5,1).

Dennoch ist Jesus begraben worden. Er war im Totenreich, und Gott hat ihn aus den Toten auferweckt, nachdem er die Wehen (Schmerzen) des Todes aufgelöst hatte (Apostelgeschichte 2,24). Er ist der Sieger! Er ist der Gerechte, der keine Sünde kannte. Er hat sich durch die Auferstehung vom Tod als Sohn Gottes erwiesen (Römer 1,4). So liegt in der Auferstehung Jesu auch die Rechtfertigung der Gläubigen begründet (Römer 4,25). Ohne die Auferstehung Jesu wäre der Glaube vergeblich (1. Korinther 15,14). In der Auferstehung Jesu liegt die ganze Hoffnung aller Gläubigen.

Die Auferstehung Jesu hat auch Vorbildcharakter, nicht nur für die Christen in geistlicher Sicht (Kolosser 2,12), sondern auch in der historischen Auferstehung eines jeden Einzelnen. Jesus wurde zu Grabe getragen, und nach seiner Auferstehung war das Grab leer. Wenn es sich bei dem Erstgeborenen aus den Toten (Kolosser 1,18) so verhält, wie könnte es bei seinen Nachfolgern anders sein? Dem Herrn ist es nicht unmöglich, „Menschen, auch wenn sie schon gestorben, ja in ihre Elemente zerfallen, empirisch nicht mehr vorhanden sind, an den von ihm gesetzten Zeitpunkt in leibhaftiger Gestalt wieder vor sich hintreten zu lassen“¹.

Christen haben eine lebendige Hoffnung! Das gibt Trost auch und gerade in der Konfrontation mit dem Tod. Christen haben einen leiderprobten Herrn. Da gibt es jemanden, der mitfühlt und Mitleid hat. Auf der einen Seite wird unser Leben nie frei von Trauer, Klage und Kummer sein; da ist immer etwas von Karfreitag. Auf der anderen Seite strahlen in diesen dunklen Zeiten unseres Lebens die Kraft und die Hoffnung der Auferstehung umso stärker; da ist immer ein Stück von Ostern. Schon die Propheten des Volkes Israels wussten von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach (1. Petrus 1,11). Wenn es sich bei Christus so verhält, wie könnte es bei seinen Nachfolgern anders sein? Da muss Leid nicht zu Selbstmitleid werden. Im Gegenteil: „Wir können die trösten, die in allerlei Drangsal sind, durch den Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden“ (2. Korinther 1,4).

Wenn wir Ostern vor dem Hintergrund des Karfreitags betrachten, nehmen wir den Kontrast deutlicher wahr und können die Verbindung von Freude und Leid, von Tod und Auferstehung, von zeitlicher Begrenzung und ewigem Leben besser einschätzen.

 

Fußnote:

¹ Coenen, Hrsg., Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Brockhaus.

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