Es geht weiter: Gottesdienste nach der Krise

Das letzte Jahr hat uns alle vertrauten Abläufe gestohlen. Geschlossene Gemeindehäuser, Zoom-Predigten, verkürzte Gottesdienste, Singen mit Maske. Änderungen im Monatsintervall. Nichts Normales mehr. Vorbei ist das alles noch nicht, aber das Korsett ist nicht mehr ganz so eng.

Was werden wir als Gemeinden tun, wenn wir wieder mehr Bewegungsfreiheit haben? Theoretisch ist das kein großes Rätsel, denn wir orientieren uns an dem, was Christen schon immer taten: Wir bewegen uns zwischen den vier Eckpunkten Lehre – Mahl des Herrn – Gemeinschaft – Gebete (Apg 2,42). Also nicht, was wir tun, ist die Frage. Eher wie wir es tun.

Ohne es aktiv zu suchen, haben uns die letzten Monate gelehrt, dass man alles anders machen kann. Was habe ich im letzten Jahr in verschiedenen Gemeinden für unterschiedliche Mahlfeiern erlebt! Ohne Gesang, aber mit sehr schön vorbereiteten Vortragsliedern und gut lesbarem Text. Es geht auch mit Brot und Wein anders, als wir es fast als biblische Regel handhabten: Wir gehen bei uns an Tische mit Brot und Kelch, nehmen beides dort in Empfang und gehen wieder zurück an unseren Platz. Was für ein Reichtum an würdevoller Gestaltung!

Genauso tiefgreifend waren die Veränderungen bei der Predigt. Wir wollen natürlich auch die erreichen, die nicht kommen können oder wollen: Also kommt die Predigt per Zoom oder auf YouTube ins Haus. Oh, damit haben wir ja plötzlich „fremde“ Zuhörer. Wir müssen also die Veranstaltung vernünftig moderieren, damit alle verstehen, was wir hier tun, müssen „gästetauglich“ predigen und haben plötzlich eine völlig neue Reichweite. Die Technik-Mannschaft bekommt eine Bedeutung wie nie zuvor in der Gemeindegeschichte.

Es ist eine spannende Frage, wie wir unser Gemeindeleben gestalten, wenn uns keine Vorgaben von außen mehr einschränken. Die Absichten und Wünsche sind uneinheitlich, zuweilen fast gegensätzlich. „Es geht weiter wie bisher“, sagen manche. „Hoffentlich geht es nicht weiter wie bisher“, flehen andere mit hochgezogenen Brauen. Und beide Stimmen können aus einer Gemeinde kommen. Deshalb ist eine ernsthafte Reflexion unter Gebet und der Einbeziehung vieler Geschwister angezeigt. Corona wird das Gesicht unserer Gemeinden nachhaltig verändern. Das ist nicht schlimm, sofern die Veränderung eine Verbesserung ist.

Nun ist es unmöglich, in diesem kurzen Artikel die verschiedenen Gemeindesituationen zu beleuchten. In einer Gemeinde mit 30 Geschwistern sind andere Fragen zu stellen und andere Antworten zu finden als in einer Gemeinde mit 150 Geschwistern – was meinem eigenen Erfahrungshorizont eher entspricht.

Beginnen wir mit dem erwähnten Wunsch, der nicht selten zu hören ist: „Bei uns bleibt alles beim Alten.“ Das kann richtig sein. Besonders dann, wenn sich die bisherigen Abläufe bewährt haben. Wenn das Generationengefüge gesund ist, Menschen zum Glauben kommen, in der Gemeinde Heimat finden. Dann ist es vernünftig, das Gemeindeleben an der Vor-Corona-Zeit auszurichten. Falls es aber ganz anders aussieht, dann ist die Rückkehr zur Normalität ein sehr guter Moment, ernsthaft über Anpassungen nachzudenken oder auch Rat einzuholen.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Eine Gemeinde erlebt seit zwei Jahrzehnten einen stetigen Verlust. Die Zahl der Todesfälle und Abgänge durch Umzug ist immer etwas größer als die Zahl der Zugänge. Ist da der Vorsatz „Bei uns bleibt alles beim Alten“ richtig? Dann geht es sehr wahrscheinlich auch so weiter wie in den letzten 20 Jahren. Falls man die Entwicklung nachhaltig verändern will, reicht es nicht, zwischen Mahlfeier und Predigt Kaffee auszuteilen.

Oder stellen wir uns folgende Gemeindesituation vor: Eine nette Gemeinschaft, die sich mag und gerne zusammenkommt, vielleicht auch diese und jene missionarische Aktion macht, aber es kommen keine Menschen „aus der Welt“ zum Glauben bzw. es gelingt nicht, sie dauerhaft in die Gemeinde zu integrieren. Das heißt, dass diese Gemeinde im Wesentlichen ihre Funktion für die Welt verfehlt. „Macht zu Jüngern“, lehrt der Herr. Da können wir noch nicht zufrieden sein, wenn wir Traktate verteilt haben. Es ist auch kein wirklicher Ausgleich, wenn man für die fehlende Wirkung in der Heimat einen Missionar in Afrika unterstützt. Wäre die „Wiederbelebung“ des Gemeindelebens im Sommer nicht ein guter Zeitpunkt, über Gottesdienste, Abläufe, Gästetauglichkeit der Veranstaltungen, über Predigtstil und Lehrinhalte nachzudenken?

Auch hier gilt, dass man dem Ziel mit ein paar kleinen Korrekturen allein nicht viel näher kommt. Angefangen von der Leitung muss es einen Wandel im Denken geben. Was damit gemeint ist, lässt sich schön in einem Satz aus der Jüngerberufung finden: „Und er ruft die Zwölf herbei; und er fing an, sie zu zwei und zwei auszusenden, und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister“ (Mk 6,7). Der Herr ruft zusammen, um zu senden. An jedem Sonntag wird die Gemeinde zusammengerufen – um sie zu senden. Es macht einen Unterschied, ob wir Zusammenkünfte als zentrale und ausreichende Ausdrucksform unseres Glaubens verstehen oder ob wir leben und lehren, dass es an jedem Sonntag ums Fit-Machen für eine Sendung geht.

Es geht weiter nach Corona. Das tun wir vertrauensvoll, weitsichtig und mutig.

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