Ergriffen: Was Christus tat, um mich zu gewinnen

„Uns ist ein Kind geboren“ (Jes 9,6), und als es in der Krippe lag, sah es aus wie ein gewöhnliches menschliches Baby: ein zartes Ding, vielleicht acht Pfund schwer und hilflos, das gefüttert, gewaschen und bekleidet werden musste. Und doch ist es gar nicht so gewöhnlich. Nur wenige Neugeborene müssen in eine Krippe gelegt werden, und selbst der Aberglaube späterer Zeiten machte es nicht zur Mode. Aber die Umstände waren nicht nur ungewöhnlich. Sie waren einmalig. Keine andere Mutter trug je ein solches Geheimnis in ihrem Herzen wie dieses junge jüdische Mädchen. Sie war eine Jungfrau, aber dies war ihr Kind, das in ihrem Schoß gezeugt wurde, durch ihre Mühe zur Welt kam und in allem von ihr abhängig war. Es war ein Wunder, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass jedes Baby ein Wunder ist. Dieses Kind kam direkt vom Heiligen Geist. Er war ein reines Wunder, eine neue Schöpfung, und obwohl ihre Nachbarn ihn ‚Marias und Josefs Sohn‘ nannten, war das nur die halbe Wahrheit.“ (Donald McLeod)*

Was hat das, was vor 2000 Jahren in dem vergleichsweise winzigen Dorf Bethlehem geschah, mit mir heute zu tun?

Diese Frage ist elementar, aber manche haben sich diese Frage noch gar nicht gestellt. Selbst zu Weihnachten nicht. Obwohl es doch das Hauptfest der Deutschen ist und fast überall in der Welt sich an Weihnachten so vieles darauf bezieht. Da sieht man in Kirchen, auf Weihnachtsmärkten, im Netz und in der TV-Werbung jede Menge Anspielungen und Bezüge auf die Umstände der Geburt eines Kindes, das damals als der verheißene Erlöser Israels dringend erwartet, tragischerweise dann aber von kaum jemanden erkannt bzw. anerkannt wurde. Inzwischen sind es zwar erheblich mehr geworden, die Jesus als ihren Retter erkannt und als ihren Herrn anerkannt haben, aber immer noch stört es die meisten wenig. Vielleicht liegt das daran, dass die vielen Bräuche und Traditionen im Grunde wenig darüber sagen, was tatsächlich in der Krippe im Stall steckte.

Davon zeigt uns die Bibel aber erheblich mehr. Zeichnen wir also einmal nach, welches Bild durch ihr Zeugnis vor unseren Augen entstehen kann: Paulus nennt später den, der in Bethlehem zur Welt kam, den „Mensch vom Himmel“ (1Kor 15,47), der eine neue Schöpfung begründen wollte, weil die alte seit Adam hoffnungslos verloren war. Interessanterweise sagt er nicht „Gott vom Himmel“, sondern „Mensch vom Himmel“(!). Von Anfang an war der Herr Jesus Zeugnis von dem, was himmlisch war, und zwar als Gott und Mensch zugleich. Aber trotzdem bedeutete seine Menschwerdung eine Herablassung im tiefsten Sinn dieses Wortes. Er wurde Mensch. Er entäußerte sich. Er nahm Knechtsgestalt an (vgl. Phil 2,5ff.). Er nahm alles an, was unser schwaches, vergängliches Menschsein ausmacht – ausgenommen die Sünde. Ja, seine Menschwerdung beinhaltete die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden und zu durchleiden bis hin zum Tod. – Ein ewiger Gott nimmt die Konfrontation mit dem Tod in Kauf?! Was konnte ihn bewegt haben, zu solchen Tiefen hinabzusteigen? Hier muss uns eigentlich klar werden, wie sehr das von der Liebe Gottes zeugt, die er zu seinen Geschöpfen hat. Sich selbst zu geben, sich selbst dem Hass und Vernichtungswillen seiner Feinde auszusetzen, bis dahin – und weiter – ging diese Liebe. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46) … Zu unserer Errettung etwas auskosten zu müssen, das ihm, dem Sohn Gottes, von Ewigkeit her fremd war – die Gottesferne, allein gelassen mit aller menschlichen Schuld und Sünde, die auf ihm lastete –, sogar dazu war der Herr Jesus bereit. – Und all das war bei seinem Eintreten in diese Welt bereits vorgezeichnet.

Hat diese Liebe am Kreuz ihr Ende gefunden oder gilt sie auch heute noch? Zweifellos waren Jesu Kommen auf diese Erde, sein Leben und sein Sterben ein Höhepunkt der ganzen Menschheitsgeschichte. Aber das Großartige ist: Christus hält diese Liebe für ewig aufrecht! Sie ist eine ewige Zusage an alle, die sich auf diese Liebe einlassen und ihm ihr Leben geben.

Die menschliche Erfahrung, die dem, was Christus bei möglichst jedem von uns bewirken will, am ehesten nahekommt, ist wohl die der Brautwerbung: Wie gewinnt man das Herz der Person, die man liebt? Wie nimmt man sie für sich ein, wenn man sie für sich auserkoren und ins Herz geschlossen hat? Man zeigt ihr auf einfühlsam werbende und doch auch überwältigende Weise das Ausmaß seiner Liebe; man zeigt ihr, wie viel man einzusetzen bereit ist, um sie zu gewinnen. Für immer mehr junge Menschen hat sich der Heiratsantrag zu einem Symbol für diesen Liebesweis entwickelt: die Originalität und Kühnheit, der Ideenreichtum, den man im Zusammenhang damit zeigt, sollen gewissermaßen ein Gradmesser dafür sein, wie weit man lebenslang aus Liebe gehen würde, um den Partner glücklich zu machen.

Das ist natürlich nur ein schwaches Abbild von dem, was der Herr für mich tat, um mich zu gewinnen. Der „Standesunterschied“ zwischen ihm und mir war so groß, dass ich niemals hätte erwarten können, dass er sich um meinetwillen aufmacht, um ihn zu überwinden. Doch er wurde Mensch – und das bedeutete, als kleines, hilfloses Baby in diese Welt zu kommen und all das zu durchlaufen, was unser Leben als Menschen ausmacht: angewiesen sein, ausgesetzt sein, Schwachheit, den Bedingungen des Menschseins unterworfen und inbegriffen auch die Möglichkeit zu leiden und zu sterben. Für uns, die wir – in Sünde und Schuld verstrickt – keine Perspektive hatten, aus unserer Verlorenheit und Einsamkeit herauszukommen, war das aber der sprichwörtlich „rettende Anker“ zu einer ewigen, unauslöslichen Verbindung mit dem, der so unerschütterlich seine Liebe zu uns bewiesen hat.

Wie reagieren wir darauf? Nehmen wir diese Liebe an? Sagen wir ja zu ihm, der sein Leben für uns gegeben hat? Ist er es nicht wert, ihm unser Leben zu geben und uns auf ewig mit ihm verbinden zu lassen? Ja, es gibt diesen Moment, wo man sich der überwältigenden Liebe des anderen bewusst wird und sie blitzartig erkennt. Und wenn uns Gott diesen Augenblick der Erkenntnis schenkt, dann können wir sicher sein, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihr Raum zu geben und mit einem deutlichen und kräftigen JA zum Herrn Jesus darauf zu antworten. Nur dieses JA ist nötig, keine Gegenleistung, kein Zaudern und kein Zögern, kein ängstlicher Blick auf uns selbst, ob wir ihm auch auf ewig treu zu bleiben vermögen … Dafür sorgt der Herr, denn wenn wir einmal von ihm „ergriffen“ worden sind, dann wird er uns jeden weiteren Tag unseres Lebens zeigen, wie sehr er uns liebt und hält.

 

Fußnote:

* zitiert aus: Donald McLeod, From Glory to Golgatha, CFP, 2018, S.11, übersetzt mit DeeplPro

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