Arbeit unter Migranten (Interview)

Lieber Herbert, du kümmerst dich schon einige Jahre lang um Migranten, wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?

Im Jahre 2009 habe ich als ehrenamtlicher Betreuer der Scheideweggruppe (Gefährdetenhilfe Scheideweg e.V.) in den JVAs Köln und Hagen Inhaftierte in Gruppen betreut. Die Gruppen bestanden aus zehn Gästen und zehn Betreuern, bei optimaler Besetzung. Besonders bei den Einzelgesprächen bekam man auch Einblick in die Probleme. Viele Konflikte entstanden aus Migrationsschicksalen bei Muslimen, orthodoxen Christen, Roma (besonders aus Exjugoslawien), vereinzelt auch bei Russlanddeutschen und natürlich auch bei Deutschen.

In weiteren Haftanstalten habe ich einzelne Inhaftierte als Einzelbetreuer besucht. Ein besonderer Kontakt war ein junger Muslim. Ihn habe ich ca. zwei Jahre mit Koran und Bibel besucht. An manchen Tagen haben wir überwiegend über den Koran gesprochen. An anderen Tagen war die Bibel unser Projekt. Außerdem gab es Tage, an denen keines der Bücher Thema war, weil große Probleme in seinen Haft- und Abschiebeangelegenheiten entstanden waren.

In meiner damaligen Gemeinde habe ich auch einen Pakistani kennen- und schätzen gelernt. Bei seiner Taufe in der Biggetalsperre war ich dabei. Er musste zurück nach Pakistan. Dort wurde er von seiner Familie zusammengeschlagen und für Monate inhaftiert, weil er nicht zum Islam zurückkehren wollte. Sporadisch meldete er sich über Jahre mit erschütternden Berichten.

Du hast ein besonderes Herz für Muslime. Warum?

Ja, mir liegen Muslime sehr am Herzen. Sie haben ein beispielhaftes Gefühl für ihren heiligen Koran, aber oft auch für die Bibel und Jesus. „So würden wir nie mit unserem heiligen Buch umgehen“, sagten sie zum „Fußballspielen“ mit Gideon-Bibeln, die an junge Leute in Bad Kreuznach verteilt worden waren.

Mich erschüttert es, wenn ich sehe, mit welcher Hoffnung und Tatendrang Menschen aus Afrika, Syrien, Irak, Iran, Syrien, Pakistan und Afghanistan hier ankamen. Dann die deutsche Gründlichkeit bei der Bürokratie, sittenlose Fernsehfilme und grenzenloser Zugang zu Medien. Wie sollten diese Menschen damit fertig werden? Die einen wurden straffällig, teilweise aus Gründen, die für uns Deutsche schwer nachvollziehbar sind. Viele passten sich gut an, andere wurden depressiv. Mir tun die Flüchtlinge weltweit im Herzen weh. Das gilt besonders auch für die unmenschlichen Zustände in Griechenland.

Unter deinen Kontakten sind auch jesidische Migranten. Wie gestaltet sich diese Kontaktpflege?

Für mich ist der Kontakt mit einer jesidischen Familie besonders wertvoll. Die beiden Buben (jetzt 1. und 2. Schuljahr) sprechen sehr gut Deutsch, die Mutter einigermaßen. Der Vater kam erst Jahre später und tut sich noch schwer mit der deutschen Sprache. Mit den Jungs lese und rechne ich, auch machen wir Wanderungen mit Picknick, was zur Zeit wegen Corona leider nicht möglich ist. Die Eltern kommen mit Schriftstücken, die sie nicht lesen bzw. verstehen können. Ich fahre mit ihnen einkaufen.

Über „Orientierung: M“ habe ich einen Jesidenkenner telefonisch kontaktieren können. Er sagte: „Übers Kreuz kann man mit ihnen grundsätzlich gut sprechen. Verfolgung und Leid sind ihnen sehr bekannt. Hölle und Teufel sollte man zunächst nicht ansprechen.“ Der Zweitklässler fragte mich genau danach bei einer Wanderung. Ich habe ihm erklärt, dass ich dazu nur etwas im Beisein seiner Eltern sagen würde. Er versprach mir, ihnen nichts zu erzählen. Ich habe ihm erklärt: „Ich möchte nichts sagen, was euren Glauben beleidigen könnte.“ Im Familienkreis habe ich die Frage und meine Antwort wiederholt. Es kam aber nichts von den Eltern, so war diesbezüglich kein tieferes Gespräch möglich.

Jesiden, die ich persönlich kennenlernte, äußerten sich kaum über ihren Glauben und das macht das Gespräch nicht leicht. Vor Jahren hat mir ein Jeside gesagt, dass sein Glaube weder muslimisch, noch christlich sei, wenn aber „eher christlich“.

Wie kommst du mit den kulturellen Unterschieden zurecht? Was möchtest du dabei beachten?

Das Wichtigste ist für mich, möglichst nichts sagen und zu tun, was ihre Kultur oder ihren Glauben beleidigt. Besonders bei Muslimen betone ich Gemeinsamkeiten in Glaubensfragen, z. B. die Jungfrauengeburt und Sure 5,44: „Allah hat den Juden die Thora herabgesandt“ und Sure 5,46: „Jesus Sohn der Maria erhielt das Evangelium zur Bestätigung und Licht“.

Andererseits weise ich auf den großen Unterschied hin, dass im Koran Jesus nur ein Prophet ist und nicht als Gottes Sohn am Kreuz gestorben ist. Häufig kommt auch von Muslimen der Ausspruch, Allah und der Gott der Bibel seien der gleiche Gott. Dem widerspreche ich und stelle den Gott der Bibel in seiner großen Liebe vor.

Bist du in der Arbeit unter Migranten nur der Gebende oder auch ein Empfangender?

Wie viel ich geben kann, ist schwer zu sagen. Oft habe ich sehr viel Honig um den Mund geschmiert bekommen, da hätte mein Bart noch lange getropft. Das führt leider auch dazu, dass ich manchmal die Ehre ganz oder teilweise an meinen Hut stecke und nicht an Jesus Christus und den Vater weiterleite. Ihnen allein gebührt alle Ehre.

Einwandfrei bin ich der Empfangende oder Beschenkte. Das zeitweise Zusammenleben mit einem Migranten ist für mich ein Geschenk Gottes. Das gemeinsame Kochen, Durchleben und Besprechen von Situationen, die Gespräche über die unterschiedliche Kultur sind für mich eine tolle Weiterbildung Gottes.

In meiner inhaltslosen Namenschristen-Zeit war ich ein „HB-Männchen“, das bei jeder Gelegenheit an die Decke ging. Auch heute passiert es immer mal wieder. Die unterschiedliche Kultur benutzt Gott auf eine wunderbare Weise, diese fleischliche Untugend wegzunehmen und ich hoffe, dadurch entsteht mehr Raum für Jesus Christus und den Heiligen Geist in mir.

Was würdest du Christen empfehlen, die auch unter Migranten arbeiten wollen?

Gebet ist das Allerwichtigste. Beten, dass Gott zeigt, wen er einem ans Herz legen möchte. Beten um die richtigen Worte. Beten mit offenem Herzen, um das Gegenüber als Geschöpf Gottes und von ihm geliebt zu sehen. Zuhören, um dem Gesprächspartner Respekt zu zeigen, aber auch um das Gespräch in guten Bahnen zu halten bzw. zu führen. Hier ist meine große Schwäche, ich sprudele oft zu schnell mit Bibelversen und Ratschlägen heraus. Dabei kann ein Gespräch auch vorzeitig abgebrochen werden. Klare Aussagen, aber möglichst so, dass die Kultur und der Glaube des Gesprächspartners nicht herabgewürdigt und auf keinen Fall beleidigt wird. Ein Beispiel: E-Mail-Aussage eines Wiener Muslims zu Sure 5,72: … das Höllenfeuer wird ihn (den Christen) dereinst aufnehmen. Antwort: „Wir werden am Ende sehen, ob du oder ich recht habe.“

 

Das Interview führte Hermann Fürstenberger von Diakonie Persis
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ww.diakonie-persis.de

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